Die Rolle der Position der Fragestellung beim Textverstehen von mathematischen Modellierungsaufgaben. Zwei empirische Studien mit Befragung und Eye-Tracking-Technologie

Das Verstehen der Realsituation in Aufgaben zum mathematischen Modellieren ist eine notwendige Bedingung für einen korrekten Lösungsprozess. Eine Determinante des Textverstehens ist das Leseziel. Durch dieses kann die Aufmerksamkeit beim Lesen und Verstehen eines Textes auf lesezielrelevante Informationen gerichtet werden. Das Leseziel sollte sich konkretisieren lassen, indem die zu einer Modellierungsaufgabe zugehörige Fragestellung dem Aufgabentext vorangestellt wird. Frühere Studien zeigen, dass die Spezifizierung des Leseziels über die Voranstellung von Fragestellungen vor den Text positive Effekte auf das Leseverhalten, das Textverstehen und die Effizienz dabei induzieren kann. In zwei Studien wurde überprüft, inwiefern diese Ergebnisse sich auf Aufgaben zum mathematischen Modellieren übertragen lassen. In Studie 1 (N = 192) wurde mit Lernenden der gymnasialen Oberstufe und aus Erweiterungskursen der Realschule untersucht, welchen Einfluss die Position der Fragestellung auf das Textverstehen bei mathematischen Modellierungsaufgaben hat (Forschungsfrage 1), ob auch das Mathematisieren von der Position der Fragestellung beeinflusst wird und ob das Textverstehen hier als Mediator fungiert (Forschungsfrage 2) und welchen Einfluss die Position der Fragestellung auf die Lese- und Bearbeitungsdauer beim Textverstehen von mathematischen Modellierungsaufgaben hat (Forschungsfrage 3). In Studie 2 (N = 75) wurde überprüft, inwiefern sich die Ergebnisse der Forschungsfragen zum Textverstehen aus Studie 1 replizieren lassen (Forschungsfrage 4). Außerdem wurde untersucht, inwiefern die Position der Fragestellung das Leseverhalten beeinflusst und eine mögliche Mediation des Einflusses auf die Lesedauer vorliegt (Forschungsfrage 5) sowie inwiefern die Position der Fragestellung die Aufmerksamkeitsallokation auf (ir-)relevanten Informationen in den verschiedenen Phasen des Leseprozesses beeinflusst (Forschungsfrage 6). Zur Erfassung des Textverstehens bei Modellierungsaufgaben wurde ein computerbasiertes Testverfahren entwickelt. Dieses wurde in beiden Studien von den Versuchspersonen bearbeitet. In Studie 2 wurden dabei die Blickbewegungen der Versuchspersonen aufgezeichnet. Zur Auswertung wurden Pfadanalysen eingesetzt. Als Kontrollvariablen wurden die Lesekompetenz, das mathematische Vorwissen und die Arbeitsgedächtnisspanne (nur in Studie 2) berücksichtigt. In Studie 1 konnten keine signifikanten Einflüsse auf das Textverstehen bei Modellierungsaufgaben, das Mathematisieren sowie die Lese- oder die Bearbeitungsdauer nachgewiesen werden. In Studie 2 zeigte sich eine Verkürzung der Lesedauer durch die Voranstellung der Fragestellung vor den Aufgabentext, wenn die Lesedauer mithilfe von Blickbewegungen operationalisiert wurde. Die Bearbeitungsdauer wird hingegen durch die Voranstellung der Fragestellung vor den Aufgabentext verlängert. Die Versuchspersonen konnten ihre Aufmerksamkeit hypothesenkonform auf relevante und irrelevante Informationen aufteilen. Die Ergebnisse werden unter Bezug auf den bisherigen Forschungsstand und Grenzen der Untersuchungen diskutiert. Außerdem werden Implikationen für die Forschung und die (Schul-)Praxis abgeleitet.