Wissenschaftskriterien verstehen und anwenden - Weiterentwicklung der Unterrichtskonzeption choice2reflect zur Bewertung gesellschaftlicher Kontroversen
Basic data of the doctoral examination procedure
Doctoral examination procedure finished at: Doctoral examination procedure at University of Münster
Period of time: 01/03/2018 - 04/05/2022
Status: completed
Candidate: Kralisch, Christopher
Doctoral subject: Didaktik der Chemie
Doctoral degree: Dr. paed.
Form of the doctoral thesis: monographic
Awarded by: Department 12 - Chemistry and Pharmacy
Supervisors: Marohn, Annette
Reviewers: Marohn, Annette; Sommer, Katrin
Description
In der vorliegenden Arbeit wird im Rahmen des Design‐Based Research‐Ansatzes das Unterrichtskonzept choice2reflect weiterentwickelt und erprobt. In aktuellen gesellschaftlichen Debatten ist immer häufiger zu beobachten, dass Argumente von Falschinformationen beeinflusst sind und wichtige Entscheidungen nicht auf der Basis wissenschaftlich gesicherter Fakten getroffen werden (Cook et al. 2018). Letztere werden jedoch zum Treffen rationaler Entscheidungen benötigt. Kapitel 1 dieser Arbeit zeigt die Grundlagen der Entscheidungstheorie auf und beschreibt, dass Individuen häufig nur begrenzt rational auf der Basis von Heuristiken und beeinflusst durch Emotionen entscheiden (Pfister et al. 2017; Kahneman et al. 1982; Kahneman 2011). Im Kapitel 2 werden wissenschaftstheoretische Kriterien festgelegt, nach denen die Wissenschaftlichkeit von Informationen bewertet werden kann. Die Bewertungskompetenz (Kapitel 3) lässt sich nicht nur als das „Erkennen und Bewerten naturwissenschaftlicher Sachverhalte in verschiedenen Kontexten“ (z. B. KMK 2005a, S. 7) definieren. Viele weitere Einflüsse, Dimensionen und Kompetenzstrukturmodelle formen die Bewertungskompetenz zu einem umfangreichen Kompetenzbereich (Bögeholz et al. 2004; Reitschert et al. 2007; Eggert & Bögeholz 2006). Dessen Vermittlung hat im naturwissenschaftlichen Unterricht eine große Bedeutung für die Ausbildung einer Scientific Literacy (Prenzel et al. 2007). Das Unterrichtskonzept choice2reflect wurde entwickelt, um Schülerinnen und Schülern eine rationale Bewertung von gesellschaftlichen Kontroversen auf der Basis wissenschaftlicher Prüfkriterien zu ermöglichen (Jungkamp 2021). Es verläuft in fünf Phasen und ist sowohl fächer‐ als auch kontextübergreifend einsetzbar. In der Konzeption positionieren sich Schülerinnen und Schüler zu einem kontroversen Thema wie Homöopathie oder Nahrungsergänzungsmittel. Anschließend erarbeiten sie Wissenschaftskriterien, anhand derer sie Aussagen, Experimente und empirische Studien auf Wissenschaftlichkeit prüfen. Die Kriterien wenden sie auf die Kontroverse an, um abschließend zu einer reflektierten Entscheidung zu gelangen. Diese Arbeit verläuft nach dem Design‐Based Research‐Ansatz (Rohrbach‐Lochner 2019; Collins et al. 2004; Collins 1992) und gliedert sich in die Elemente Framing, Design‑Experiment und Re‑Framing. Das Ziel der Arbeit wird im Framing (Teil IV) festgelegt. Es besteht in der Weiterentwicklung der Konzeption durch Ergänzen weiterer Lernmaterialien und Erproben dieser im realen Bildungskontext. Das Design‑Experiment (Teil V) verläuft iterativ und besteht aus drei Mesozyklen, in denen Lernmaterial zunächst entwickelt, dann erprobt und nach umfangreicher Analyse optimiert wird. Der erste Mesozyklus (Kapitel 9) widmet sich der Materialentwicklung und ‐erprobung für die wissenschaftlichen Prüfkriterien Falsifizierbarkeit, Randomisierung, Korrelation und Kausalität sowie Reproduzierbarkeit im Rahmen der Phase III des Unterrichtskonzepts. Es wird untersucht, inwiefern Lernende in der Lage sind, die Prüfkriterien zu erarbeiten und anzuwenden. Dabei werden Reaktionen auf Lehrimpulse untersucht, Verständnisschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler aufgedeckt und das Off‑Task‑Verhalten analysiert. Außerdem liegt ein Schwerpunkt auf der Untersuchung von Aha‑ Erlebnissen, die die Lernenden bei der Bearbeitung der Materialien erfahren. Im zweiten Mesozyklus (Kapitel 10) wird das Unterrichtskonzept, das bei Jungkamp (2021) zur Bewertung der Kontroverse Homöopathie verwendet wurde, auf einen neuen Kontext übertragen: Anhand einer Fragebogenstudie wird die Thematik der Nahrungsergänzungsmittel als geeigneter Kontext identifiziert. Aufbauend auf die Studie werden Lernmaterialien zu Nahrungsergänzungsmitteln konzipiert und für die Verwendung in den Phasen I, II, IV und V von choice2reflect aufbereitet. Mittels Erprobungen des Lernmaterials mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I wird die Eignung der entwickelten Lerneinheiten überprüft. Weiterhin wird erhoben, inwiefern Lernende nach Abschluss der fünf Phasen rationale Entscheidungen bezüglich der Kontroverse treffen. Der dritte Mesozyklus (Kapitel 11) behandelt die Frage, wie Lernende dabei unterstützt werden können, das methodische Wissen aus Phase III auf gesellschaftliche Kontroversen anzuwenden. Dabei werden Beziehungen der Prüfkriterien zueinander geklärt und in einem Prüfschema als methodisches Instrument verortet. Erste Erprobungen mit Studierenden liefern Erkenntnisse über die Herangehensweise, die Lernende bei der Bewertung einer Kontroverse verfolgen: Viele der teilnehmenden Studierenden können auch ohne Instruktion in die Funktionsweise des Prüfschemas eine rationale Entscheidung zum Thema Veganismus treffen und nutzen das Schema in einer zielführenden Weise. Das Re‑Framing (Teil VI) zeigt den praktischen Output der Arbeit auf und grenzt diesen vom theoretischen Output ab. Auf der praktischen Seite (Kapitel 12‐14) stehen neu entwickelte und optimierte Lernmaterialien für das Unterrichtskonzept choice2reflect . Vier Prüfkriterien wurden ausgearbeitet und im Unterrichtseinsatz erprobt. Dabei hat sich gezeigt, dass ein großer Teil der Lernziele in den Erprobungen adressiert wurde und oft auch erreicht werden konnte. An vielen Stellen erkennbare Aha‑Erlebnisse legen das Erreichen der Lernziele nahe. Aufgetretene Verständnisschwierigkeiten und Off‐Task‐Interaktionen der Lernenden wurden für ein Re‐Design der Materialien verwendet. Weiterhin wurde das Thema Nahrungsergänzungsmittel als kontroverser und für Lernende relevanter Kontext herausgestellt. Das heterogene Meinungsbild in Lerngruppen bei geringer Informationslage der Schülerinnen und Schüler kann als Ausgangspunkt für die Erarbeitung von Wissenschaftskriterien verwendet werden. Das Prüfschema hat sich als intuitiv verständliches methodisches Instrument zur Anwendung der Kriterien erwiesen. In der Theoriebildung (Kapitel 15) werden Gestaltungsmerkmale für alle entwickelten Materialien herausgearbeitet, die für den Lernerfolg verantwortlich sein könnten. Für die Erarbeitung von Wissenschaftskriterien hat es sich als zielführend erwiesen, Lernende auf intuitive Weise an die Prüfkriterien heranzuführen und sowohl Experimente als auch empirische Studien zu thematisieren. Zentral für die intuitive Verständlichkeit des Prüfschemas könnten die verwendete Symbolsprache oder auch die kurzen Fragesätze sein. Das Zusammenspiel aller Elemente der Unterrichtskonzeption choice2reflect kann bei Lernenden ein Bewusstsein für Wissenschaftlichkeit schaffen und einen Beitrag dazu leisten, eine kritische Grundhaltung im Alltag zu etablieren und Bewertungskompetenz zu stärken.
Promovend*in an der Universität Münster
Supervision at the University of Münster
Review at the University of Münster
Publications resulting from doctoral examination procedure
Kralisch, Christopher; Marohn, Annette (2022) In: CHEMKON, 29(S1) Type of Publication: Research article in journal (conference) |
Kralisch, Christopher; Marohn, Annette (2022) In: Der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht, 75(03.2022) Type of Publication: Research article (journal) |
Kralisch, Christopher (2022) Berlin: Logos Verlag. Type of Publication: Book (monograph) |