Beeinträchtigen irrelevante Informationen die Berücksichtigung relevanter Informationen beim informellen Diagnostizieren von Motivation?
Grunddaten zum Vortrag
Art des Vortrags: wissenschaftlicher Vortrag
Name der Vortragenden: Beck, J., Dutke, S., & Utesch, T.
Datum des Vortrags: 21.09.2022
Vortragssprache: Deutsch
Informationen zur Veranstaltung
Name der Veranstaltung: 30. Jahrestagung der DGfE-Kommission
Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe
Ort der Veranstaltung: Regensburg
Zusammenfassung
Motivation von Schüler:innen zu diagnostizieren, stellt für Lehrpersonen eine zentrale, professionelle Anforderung dar. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass Lehrkräfte- und Schüler:innen bei der Einschätzung von Schüler:innenmotivation nur in geringem Maße übereinstimmen (Urhahne & Wijnia, 2021), weil neben diagnostischen auch nicht-diagnostische Informationen (z. B. Geschlecht oder Leistung) einbezogen werden (Brandmiller et al., 2020; Kaiser et al., 2013). Daneben werden diagnostische Informationen vernachlässigt (Dicke et al., 2012). Das Vorhandensein nicht-diagnostischer Informationen könnte die Verwendung diagnostischer Informationen beeinträchtigen. Hieraus ergeben sich zwei Fragestellungen. a) Wie unterscheidet sich die Güte des Motivationsurteils, wenn nur diagnostische (Bedingung 1) bzw. diagnostische und nicht-diagnostische Informationen (Bedingung 2) vorhanden sind? b) Werden die diagnostischen Informationen in beiden Bedingungen unterschiedlich stark berücksichtigt? Zur Untersuchung dieser Fragen wurde eine Online-Vignettenstudie durchgeführt. N = 205 (M = 34.8 Jahre, SD = 13.0 Jahre) Lehramtsstudierende (n = 80) und Lehrpersonen (n = 125) wurden zufällig zwei Bedingungen zugewiesen, die jeweils acht fiktive Schüler:innen hinsichtlich ihrer Motivation beurteilten. Bedingung 1 (n = 97) erhielt Vignetten mit ausschließlich diagnostischen Informationen (Lernzielorientierung und Arbeitsvermeidungstendenzen; jeweils „niedrig“, „durchschnittlich“, oder „hoch“). Bedingung 2 (n = 108) erhielt die gleichen Vignetten ergänzt um Informationen über Geschlecht (m, w) und Leistung (unter- oder überdurchschnittlich). Die daraus resultierenden 32 Vignetten wurden in 4 Materialsets (n₁ = 22, n₂ = 24, n₃ = 27, n₄ = 35) von je 8 Vignetten gegliedert. Jede Person in Bedingung 2 erhielt eines dieser Sets, so dass alle Kombinationen diagnostischer und nicht-diagnostischer Informationen gleich häufig bearbeitet wurden. Unterschiede in der Güte des Motivationsurteils zwischen der Materialsets waren marginal (.001 η² < .020). Eine moderierte Regression zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den Bedingungen hinsichtlich der Stärke des Zusammenhangs von Lernzielen und Motivationseinschätzung (β = -.05; p = .19). Auch der Zusammenhang von Arbeitsvermeidung und Motivationseinschätzung differiert nicht zwischen den Versuchsbedingungen (β =.07; p = .07). In beiden Bedingungen hängen die Motivationseinschätzungen stark von Lernzielen (.17 η² < .23) und Arbeitsvermeidung (.19 η² < .23) ab, in Bedingung 2 jedoch kaum von Leistung η² = .018) und nicht vom Geschlecht (η² < .001). Die Ergebnisse zeigen, dass diagnostische Informationen in Textform für die Einschätzung von Schüler:innenmotivation genutzt werden. Durch die hohe Verfügbarkeit diagnostischer Informationen im Vergleich zu Untersuchungen im Feld und dem vermutlich impliziten Wissen des Zusammenhangs zwischen diagnostischen Informationen und Motivation wurden diagnostische Informationen in beiden Bedingungen stark genutzt. Zudem war Versuchspersonen bereits vor der Präsentation der Informationen bewusst, dass Motivation eingeschätzt werden soll, was bei Felduntersuchungen mit bereits bekannten Schüler:innen typischerweise nicht der Fall ist. Die Ergebnisse zeigen damit, dass Lehrpersonen und Studierende bei hoher Verfügbarkeit diagnostischer Informationen über fiktive Schüler:innen diese für Motivationsurteile berücksichtigen können und gleichzeitig nicht-diagnostische Informationen vernachlässigen können. Somit wird die akkurate Diagnostik von Motivation zugrundeliegender Variablen sowie die Verfügbarkeit dieser diagnostischen Informationen unterstrichen, um im Schulalltag informelle Urteile zu präzisieren.
Stichwörter: Motivationsdiagnostik, diagnostische Kompetenz, Lehrkräfteurteil
Vortragende der Universität Münster
Beck, Jan Ulrich | Professur für Sportpsychologie (Prof. Strauß) |
Dutke, Stephan | Professur für Lernpsychologische Voraussetzungen für Erziehung und Unterricht (Prof. Dutke) |
Utesch, Till Onno Friedrich | Juniorprofessur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schulpädagogik: Pädagogische Diagnostik und Potenzialentwicklung (Prof. Utesch) |