Seit der großen historischen Meistererzählung Heinrich Graetz' im späten 19. Jahrhundert wird die Geschichte des Judentums in der Spätantike als die eines unerbittlichen Niederganges verstanden: eines Niederganges, der seit der konstantinischen Wende wesentlich durch die wachsende Feindseligkeit des spätantiken Staates verursacht wurde. Dieser erlegte unter dem wachsenden Einfluss der christlichen Kirche, ungeachtet eines vordergründigen Festhaltens am traditionellen Schutz der jüdischen Religionsgemeinschaft, nun mit einer aggressiven Religionspolitik jüdischen Bevölkerungskreisen, jüdischem Leben und jüdischer Religionsausübung zunehmend Beschränkungen auf. Und er beförderte zudem mit diffamierender Gesetzessprache und der sukzessiven Rücknahme von Privilegien entscheidend die religiöse, soziale und kulturelle Marginalisierung der Juden im Imperium. Christliche Autoren zeigen ungeachtet des historischen Umbruchs der konstantinischen Wende, des nunmehr atemberaubenden Aufstiegs der Kirche und einer prima facie unaufhaltsam erscheinenden Christianisierung der Gesellschaft des Reiches eine nicht minder ablehnende, ja an Aggressivität sogar zunehmende Haltung gegenüber der jüdischen Schwesterreligion. Der seit dem 2. Jahrhundert im apologetischen Schrifttum sich entfaltende christliche Anti-Judaismus, der nicht zuletzt der Identitätsschärfung der eigenen Glaubensgemeinschaft diente und den parting of the ways vorbereitete bzw. einleitete (dessen 'Chronologie' und schließliches Wirksamwerden weiterhin umstritten sind) gewinnt im 4. Jahrhundert an Dichte, Intensität und Feindseligkeit und schlägt sich in Konzilsbeschlüssen nieder, welche das Alltagsleben der Christen zu bestimmen suchten: Der christliche Wahrheitsanspruch richtete sich nun in segregierender Absicht direkt gegen Juden und Judentum, und er nahm unmittelbar Einfluss auf die imperiale Gesetzgebung. Die skizzierten Bedingungen haben bis vor wenigen Jahrzehnten den Blick der modernen Geschichtsschreibung, im besonderen auch den führender israelischer Forscher aus der Holocaust-Generation (M. Avi-Yonah u.a.) bestimmt: Die Spätantike stellte sich so als eine Epoche der Bedrückung, Bedrohung und Verfolgung des jüdischen Volkes dar: man sah neben einer zunehmenden, staatlich und kirchlich betriebenen Marginalisierung der Juden in Staat und Gesellschaft im besonderen die in Gesetzgebung und verschiedenen literarischen Quellen seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert dokumentierten christlichen Zerstörungen und Konfiskationen von Synagogen (nebst Wiederaufbau- und Neuerrichtungsverboten) als Schlüsselzeugnisse der fortgesetzten Leidensgeschichte des jüdischen Volkes. Es ist aufschlussreich, dass eine bereits von Jean Juster in seiner 1914 in Les Juifs dans l'empire romain prominent veröffentliche Zusammenstellung aller bekundeten Fälle spätantiker Synagogenzerstörungen und -konfiskationen in der Darstellung und Diskussion in James Parkes' The Conflict of the Church and Synagogue 1961 zur unhinterfragten Standardreferenz aller neueren historischen Bestandsaufnahmen geworden ist – und dies, obwohl bereits der früheste von Parkes (187f.) angeführte Fall, die vorgebliche Zerstörung der Synagoge von Dertona 355 n. Chr., in einer Bischofsvita in den Acta Sanctorum abgedruckt, sich unschwer als mittelalterliche Konstruktion entlarven lässt und der zweite Fall, die Zerstörung einer Synagoge im nordafrikanischen Tipasa, in einer hagiographischen Überlieferung, der Passio S. Salsae, überliefert ist, welche prima vista weitreichende textkritische und gewichtige historische Fragen aufwirft. Doch unabhängig von zwingend notwendigen quellenkritischen Nachfragen ist jene ältere Wahrnehmung der Spätantike als einer Epoche des Niedergangs des antiken Judentums seit einigen Jahrzehnten unhaltbar und darüber zugleich die Auffassungen vom Ende der Synagogen problematisch geworden: Die seit den 70er Jahren im heutigen Israel und den besetzten Gebieten durchgeführten intensiven archäologischen Grabungen haben in spektakulärer Weise aufzeigen können, dass das spätantike Palästina, und hier im besonderen gerade auch die jüdische Bevölkerungsgruppe, eine Periode vormals unbekannter wirtschaftlicher Blüte und demographischen Wachstums erlebte. Weit über 100 Synagogen, fast alle im 4., 5. und 6. Jahrhundert errichtet, aber auch zahlreiche jüdische Siedlungen, sind seither ergraben und ein völlig neues Bild des spätantiken Judentums in Palästina gezeichnet worden, welches die Gültigkeit der aus den rabbinischen Quellen gewonnenen Vorstellungen von Leben und Kultur des kaiserzeitlichen und spätantiken Judentums deutlich relativiert: Die archäologischen Quellen bezeugen, bis ins 6. Jahrhundert hinein, einen intensiven kulturellen Austausch zwischen Juden, Christen und Paganen in diesem Raum und, im Widerspruch zur restriktiven Synagogengesetzgebung der spätrömischen Gesetzestexte, einen wahren Bauboom an Synagogen. Weniger klar stellt sich archäologisch die Situation für die Diaspora dar, für die bislang nur eineinhalb Dutzend Synagogen ergraben werden konnten (in ganz Nordafrika etwa nur eine einzige), aber bereits sporadische literarische Erwähnungen eine hohe Zahl weiterer Synagogen bezeugen. Doch auch hier hat sich das Material jüngst um neue, gerade auch unter der Perspektive der Fragestellungen der Tagung aufschlussreiche Funde erweitert (Saranda, Andriake, Limyra) und sind zu älteren Befunden wichtige neue Erkenntnisse hinzugekommen (Ostia). Die Präsentation, Neubewertung und historische Interpretation der archäologischen Befunde wird eine zentrale Aufgabe der Tagung sein. Da verschiedene Teilnehmer selbst Synagogen ausgegraben oder neu untersucht haben, im besonderen dabei auch die Frage des Endes der Bauten mit in den Blick genommen haben, sind hier wichtige neue Beobachtungen im Detail wie in der Gesamtbewertung zu erwarten, welche eine Grundlage der weiterführenden Diskussionen der Tagung bieten werden. Auch die Interpretation der urbanistischen Situation – Lokalisation, Sichtbarkeit, Zugänglichkeit der einzelnen Synagogen und ihre Integration in die nähere Umgebung und den öffentlichen Raum – wird eingehend diskutiert werden. Die Synagoge rückt in nachkonstantinischer Zeit auch deshalb in den Fokus christlicher Apologeten und selbstbewusster Kirchenführer, weil nunmehr die christlicherseits zuvor immer bestrittene (und im Judentum nach 70 n. Chr. irrelevante), im paganen Umfeld selbstverständliche Sakralität von Kulträumen in der Kirche akzeptiert, ja konzeptionalisiert wurde: Die bauliche Manifestation der eigenen Gottesverehrung im öffentlichen Raum wird seit Konstantin und Eusebius zu einer erstrangigen Aufgabe. Der parallel sich entfaltende, ebenfalls in der Ausgestaltung der Innenräume (räumliche Differenzierung, Mosaiken und ihre Bildprogramme sowie Symbolsprache) sich niederschlagende und in expliziten Dedikationsinschriften artikulierte Sakralitätsanspruch jüdischer Synagogen (z.B. sancta sinagoga, Synagoge von Hammam Lif) – die diskursiven Verbindungen dieser Entwicklungen im spätantiken Judentum und Christentum werden ebenso wie offensichtliche Parallelen in der architektonischen und dekorativen Entwicklung diskutiert werden müssen – rückte Synagogen, mehr noch als pagane Tempelbauten (in denen 'falsche Götter' verehrt wurden), in den Fokus christlicher Kirchenführer des 4. und 5. Jahrhunderts. Die anhaltende, offenbar sogar zunehmende Attraktivität jüdischer Synagogen und jüdischen Gemeindelebens in Städten im nunmehr christlichen Imperium, wie sie eben nicht nur für das pagane Umfeld bis ins 5./6. Jahrhundert (Aphrodisias u.a.) bezeugt ist, sondern nicht minder für Christen in Antiochia (Johannes Chrysostomos' Predigten adversus Iudaeos, mit unverhohlener Gewaltandrohung) und weiteren wichtigen Zentren des Ostens (Edessa, Nisibis, Alexandria u.a.) und ebenso im Westen eindrücklich dokumentiert ist, wurde seitens der Kirche als bedrohliche, ja sogar existenzbedrohende Gefahr (im besonderen der Wiederaufbauversuch des Jerusalemer Tempels durch Kaiser Julian 362/363 n. Chr.) empfunden. Die Frage nach dem Verhältnis von Koxexistenz und Konflikt, Polemik und Gewalt, ist so über auch eine Fokussierung auf die kirchliche Wahrnehmung, den hier fassbaren eingehenden Diskurs und das konkrete Schicksal der Synagogen hinaus zu stellen. Erst in jüngster Zeit wird beachtet, dass Synagogen in der Spätantike in ihrem lokalen Umfeld weit weniger distinkt 'jüdisch', also mit einer spezifischen Architektur, Grundriss u.a. gestaltet waren, als lange angenommen bzw. behauptet worden war. Die wiederholten Schwierigkeiten von Archäologen, Gebäude, gerade in der Diaspora, als solche zu bestimmen und von Kirchenbauten, ja selbst von Tempelumbauten zu unterscheiden (siehe nur die Freilegung der Synagoge von Hammam Lif: Stern 2008, 193-253, bes. 211-216; oder die im Journal of Ancient Judaism 2013 und 2014 geführten Diskussionen um die 2012 in Limyra freigelegte 'Synagoge'), welche im Einzelfall nur durch Mosaikbildprogramme und -inschriften zweifelsfrei identifiziert werden können, veranschaulichen, dass auch baulich Synagogen (die zudem schon vor der konstantinischen Wende in urbanen Zentren, teils in zentraler Lage platziert waren), eine unübersehbare Konkurrenz zu frühen städtischen Kirchenbauten (die erst ab Ende des 4. Jahrhunderts in größerer Zahl entstehen) darstellten und überhaupt eine auch symbolische Präsenz beanspruchten – ja aufgrund etablierter jüdischer Stiftertradition vielfach dominant, überlegen erschienen sein müssen. Der frühchristliche Kirchenbau musste nicht nur die Tempelmonumente der traditionellen Kulte urbanistisch 'verdrängen' (selten und erst spät: ersetzen), sondern sein triumphalistisches Selbstverständnis auch mit Blick auf die zahlreichen lebendigen Synagogengemeinden in vielen Städten erst zum Ausdruck bringen – im Einzelfall auch gewaltsam demonstrieren. Die Frage nach dem Ort der Synagogen als sakrale Räume im urbanen Raum, ihre räumlichen Beziehungen zu anderen Kultgebäuden, dann aber vor allem nach der Positionierung und Bezugnahme von Kirchen wird hier zu verfolgen sein. Während in den letzten Jahren eine intensive Diskussion über die Enteignung und Zerstörung heiliger Räume in der Spätantike, im besonderen über ihre Umwandlung in christliche Kirchen, und über die damit verbundene Programmatik und Symbolik mit Blick auf pagane Tempel geführt wurde, dabei auch die Rolle der Gewalt bei der Unterdrückung des Paganismus im spätantiken Imperium untersucht wurde, so ist eine entsprechende systematische Diskussion über die Bedingungen, Ursachen, treibenden Kräfte und historischen Wirkungen der zahlreichen Fälle von Synagogenzerstörungen und -enteignungen im 4. bis 7. Jahrhundert, welche in zeitgenössischen und späteren Quellen Erwähnung finden und ebenso in einzelnen archäologischen Befunden fassbar sind bzw. angenommen werden, bislang ausgegeblieben. Sogar die einschlägigen Belege – darunter, wie beachtet werden muss, kein einziger von jüdischer Feder – sind niemals erschöpfend zusammengestellt worden, ältere Kompilationen hingegen ohne kritische Prüfung übernommen und weitergegeben worden. Wie häufig sind Fälle religiöser Transformation (von Synagoge zu Kirche) und in welchem zeitlichen Abstand werden diese (dauerhaft?) durchgeführt? Befunde wie in Gerasa oder Apamea, aber evtl. auch andernorts können hier im Einzelfall wichtige Antworten geben. Wie weit lässt sich hier von einem (auch) urbanistischen Triumphalismus sprechen oder spielten pragmatische Erwägungen (wie verschiedentlich bei der Umnutzung von Tempelbauten) möglicherweise eine Rolle? Zwar sind einzelne dieser gewaltsamen Episoden wie vor allem die in Briefen des Ambrosius dokumentierte Zerstörung und Enteignung der Synagoge in Callinicum 388 n. Chr., weiterhin die Vertreibung und Enteignung der alexandrinischen Juden in 414 n. Chr., die 'Konversion' der jüdischen Gemeinde und ihrer Synagogen auf Menorca 418 n. Chr. oder die archäologischen Befunde zu den Synagogen von Apamea und Gerasa weithin bekannt und werden als augenfällige Wendemarken der jüdischen Geschichte im spätrömischen Reich verstanden. Doch die übergreifende Bedeutung der Dutzende von gewaltsamen Ereignissen um Synagogen in der Spätantike, welche in den Quellen erwähnt werden, ist bislang nicht wirklich verstanden: Handelt es sich dabei um strikt lokale Zwischenfälle? Waren sie das Resultät anti-jüdischer (oder antisemitischer) Gewaltausbrüche, oder zuweilen eher Kollateralschäden anderer religiöser und sozialer Konflikte? Welche Rolle spielte der Klerus, insbesondere Bischöfe, welche Mönche? Und wie reagierten lokale Magistrate, wie die römische Verwaltung? Waren diese Übergriffe Ausdruck eines allgemeinen, unumkehrbaren Trends, welcher die zunehmende Marginalisierung der jüdischen Minderheit im nunmehr christlichen Imperium spiegelte? Welche Rolle spielen in diesem Kontext Zwangsbekehrungen und Zwangstaufen? Welches waren die Folgen für die lokalen jüdischen Gemeinden und für die weitere Koexistenz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen? In welcher Beziehung stehen die Auseinandersetzungen zur kirchlichen und staatlichen Bekämpfung von sog. Häresien und paganen Kulten? Und wie ist das offenbar völlig unberührte Florieren jüdischer Gemeinden in anderen Städten wie im karischen Aphrodisias bis mindestens ins 6. Jahrhundert hinein zu bewerten und einzuordnen? Und schließlich: spiegeln die Berichte christlicher Autoren zutreffend Ereignisse und Protagonisten oder lassen Rückschlüsse auf spezifische Agenden zu? Während die römische Gesetzgebung (Codex Theodosianus 16,8,9. 12. 20. 26; 393 bis 423 n. Chr.) eindeutig darauf verweist, dass es seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert wiederholt zu christlicher Gewalt und Zerstörungsakten gegen Synagogen kam, zugleich aber deutlich macht, dass diese nicht effektiv vom römischen Staat geschützt werden konnten, ist die Wirksamkeit der kaiserlichen Gesetzgebung bezüglich Synagogen auch sonst fraglich: die zunehmenden Restriktionen hinsichtlich Neuerrichtung oder Reparatur von Synagogen wurden vielerorts ignoriert. Palaestina erlebte sogar in theodosianischer und nach-theodosianischer Zeit einen enormen Aufschwung im Synagogenbau. Doch verdienen unsere Quellen, so verstreut sie sind – und mit enormen Lücken für den Westen und andere Räume des Reiches – eine gründliche Überprüfung nicht nur mit Blick auf regionale Unterschiede. Hagiographische Quellen, welche anti-jüdische Aktionen östlicher Asketen und Bischöfe berichten und verschiedlich die Zerstörung von Synagogen hervorheben, sind hinsichtlich der Zuverlässigkeit dieser Behauptungen keineswegs unverdächtig (hier wird die bislang unpublizierte Vita des syrischen Mönchsführers Barsauma erstmals umfassend Berücksichtigung finden). Die Zerstörung von Synagogen, nicht anders als diejenige paganer Tempel, scheint einen Topos dieses Genres bedeutet zu haben, die Eradierung jüdischer Präsenz durch charismatische christliche Protagonisten eine Facette der triumphalistischen Agenda einiger christlicher Autoren gewesen zu sein. So gibt es einen zwingende Bedarf für eine kritische Prüfung von Viten und Chroniken (und weiterer Gattungen) mit voraussichtlich revisionistischen Ergebnissen – und eine nicht weniger dringende kritische Reevaluation der Behauptungen und Verzerrungen, welche in der reichhaltigen Produktion spätantiker anti-jüdischer Diskurse und Propaganda artikuliert wurden und eine erfolgreiche Marginalisierung des zeitgenössischen Judentums propagierten: auch dies eine Strategie, welche im Umgang mit den vorgeblichen Überbleibseln des zeitgenössischen Paganismus verfolgt wurde. Die historische, religiöse, soziale und diskursive Situation stellt sich mithin weit facettenreicher dar als die christlich bestimmte zeitgenössische oder retrospektive 'Berichterstattung' und die gängigen Narrative der Geschichte des spätantiken Judentums und der religiösen Entwicklung im römischen Imperium vermuten lassen. Ziel der Tagung und anschließenden Buchpublikation ist eine kritische Sichtung der literarischen und archäologischen Evidenz verschiedene Perspektiven auf das Phänomen der Synagogenzerstörung und -konfiskation: Dabei sollen die historische und die archäologische, die religionsgeschichtliche und die theologische und judaistische, die ereignisgeschichtliche und die semantische, die kulturgeschichtliche und die soziologische, die stadtgeschichtliche und urbanistische, die legislative und die kirchengeschichtliche wie hagiographische, die imperiale, regionale und lokale Perspektive zusammengeführt werden und auf diese Weise ein gleichermaßen differenziertes wie fokussiertes Bild eines auch wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Phänomens gewonnen werden, das stellvertretend für eine der schlüsselhaften Transformationen der spätantiken Welt steht: die Durchsetzung des Christentums.
Hahn, Johannes | Department of Ancient History and Institute of Epigraphics |
Hahn, Johannes | Department of Ancient History and Institute of Epigraphics |