Männer, Frauen und der ›Untergang des Patriarchats‹? Geschlechterdynamiken mit der Prozesstheorie erforschen.

Grunddaten zum Vortrag

Art des Vortragswissenschaftlicher Vortrag
Name der VortragendenErnst, Stefanie
Datum des Vortrags24.06.2022
VortragsspracheDeutsch

Informationen zur Veranstaltung

Name der VeranstaltungNorbert Elias und...Zum 125. Geburtstag eines sozialwissenschaftlichen Klassikers
Zeitraum der Veranstaltung24.06.2022 - 25.06.2022
Ort der VeranstaltungUniversität Passau
Webseite der Veranstaltunghttps://wp-lehre.uni-passau.de/norbert-elias
Veranstaltet vonInstitut für Soziologie

Zusammenfassung

Steven Pinker argumentierte jüngst, dass Frauen als „better angels of our nature“ evolutionstheoretisch eine besondere, zivilisierende Kraft beim Rückgang der Gewalt gespielt hätten. Diese romantisierende, steile These zeigt einmal mehr, dass kaum ein Thema die Gemüter so sehr zu erhitzen vermag wie die Debatte um die Geschlechterbeziehungen. Ob #MeToo, die misogyne Gegenbewegung der Incels oder die jüngste Re-Romantisierung der Kernfamilie im Zuge der Covid-19-Pandemie: Gender Matters. Obwohl oder weil die „letzten Tage des Patriarchats“ gezählt sein sollen, scheint untergründig Einigkeit in der Diagnose eines jahrtausendealten Patriarchats zu bestehen. Übersehen werden dabei jedoch die Vor- und Rückschübe in den relational und vielfältig zu verstehenden Geschlechterbeziehungen, die sowohl Persistenzen als auch enorme Dynamiken aufweisen. Mit der Informalisierung- und Formalisierungsthese und seiner figurationalen Machttheorie hat Elias einen innovativen Zugriff offeriert, um (von einem engagiert-distanzierten Standort aus) diese schon im Prozessbuch als zentral erachteten, jedoch vernachlässigten Fragen anzugehen. Der Vortrag rekonstruiert zunächst diesen prozesstheoretischen Zugriff, um ihn dann zur Erforschung mittel- und langfristiger Dynamiken der Geschlechterbalancen (gemäß einer empirisch-theoretischen Prozessanalyse) anhand der verzahnten Sphären Privatheit und Öffentlichkeit weiterzuentwickeln. Dabei stehen Ambivalenzen im Fokus, die auf verborgene Machtkämpfe statt ‘natürlicher Differenzen‘ verweisen. Sie zeigen nicht nur, wie sich traditionelle Geschlechterideale „harmonischer Ungleichheit“ (Wouters) zu vielfältigen Aushandlungsmodellen „unharmonischer Gleichheit“ (Ernst) transformiert haben. Vielmehr erkennt man, inwiefern Gleichheits- und Diversitätsdiskurse im Zuge von Informalisierungs- wie auch Formalisierungsprozessen in nahezu struktureller Ähnlichkeit auf die Agenda gelangen. Diese Prozessperspektive liefert somit eine exemplarische Synthese, um die interdependente Einbettung von Geschlecht, Arbeits- und Privatleben auch noch 125 Jahre nach Norbert Elias‘ Geburt realitätsangemessen und unaufgeregt zu erforschen.
StichwörterProzesstheorie; Geschlechterforschung; Arbeit; Familie; Machtbeziehungen

Vortragende der Universität Münster

Ernst, Stefanie
Professur für Arbeit und Wissen (Prof. Ernst)