'Anders' sein, um 'normal' sein zu dürfen!? Stereotypisierungen in Asylverfahren queerer geflüchteter Jugendlicher

Grunddaten zum Vortrag

Art des Vortragswissenschaftlicher Vortrag
Name der VortragendenSpieker, Malina
Datum des Vortrags14.06.2024
VortragsspracheDeutsch

Informationen zur Veranstaltung

Name der VeranstaltungIrgendwas mit Gender 6.0 - Forschungsnetzwerk Gender am Mittelbau der Uni Münster
Ort der VeranstaltungScharnhorststraße 100

Zusammenfassung

Stereotype Zuschreibungen in gerichtlichen Asylverfahren bei homosexuellen jungen Männern (nach Stuart Hall) Welche Stereotype bedienen die Jugendlichen bei ihrer Anerkennung selbst und inwiefern werden Stereotype von gerichtlicher Seite aus evoziert? In mehr als 70 Staaten gelten homosexuelle Handlungen als rechtswidrig. In elf Staaten droht Personen, die nicht-heterosexuelle Menschen lieben, die Todesstrafe (Dörr & Träbert 2019: 354). Aus diesem Grund fliehen queere Menschen aus ihrem Heimatland zum Beispiel nach Deutschland und erhoffen sich Schutz vor ihrer Verfolgung (Uno Flüchtlingshilfe 2023). Vor Gericht müssen sich die Geflüchteten in ihrer Identität beweisen, um anerkannt zu werden. Aber auch Richter*innen stehen vor der Herausforderung, die sexuelle Orientierung der Aslybewerber*innen in ihrer Glaubwürdigkeit beurteilen zu müssen. Forschungen zeigen, dass stereotypische Denkweisen sowie Othering-Prozesse bei Asylverfahren von schwulen Männern eine tragende Rolle spielen (Millbank 2009: 400; Schoenes 2023: 198; Tuider & Quirling 2014: 266). Diese Arbeit untersucht anhand von Interviews mit drei geflüchteten Jugendlichen, zwei Sozialarbeitern und einer Richterin, an welchen Stereotypen sich geflüchtete schwule Jugendliche (bis 27 Jahren) selbst bedienen und inwiefern Richter*innen Stereotype anhand ihrer Fragestellungen evozieren. Phänomenologisch gesehen fungiert Stuart Halls Begriff der Stereotypisierung (1997) zur theoretischen Rahmung der Inhaltsanalyse nach Mayring (2015). Es wird analysiert, welche Dimensionen von Stereotypen vorliegen: Gibt es Stereotype, die die Identität der Jugendlichen im Hinblick auf Differenzzuschreibungen naturalisieren/reduzieren/essentialisieren (Hall 1997/2019: 158) (1)? Nehmen sie binäre Einstufungen von Anormalität/Normalität oder Akzeptablen/Unakzeptablen vor (ebd.) (2) und inwiefern sind diese in hegemoniale und/oder ethnozentrische Machtverhältnisse eingebunden (ebd.: 159) (3)? Die Ergebnisse aus dieser Stichprobe ergeben, dass alle Dimensionen bei Anerkennungsfragen von Bedeutung sind. Insgesamt greifen die Jugendlichen selbst ihre Teilhabe an der queeren Community auf (CSDs, Jugendorganisationen) und thematisieren ihre Nutzung von queeren Dating-Apps. Auf der Seite der Richter*innen zeigen sich innerhalb dieser Stichprobe Stereotype bei Anerkennungsfragen in den Kategorien Sexualleben (Kontakte, Praktiken, Cruisingplätze), Partnerschaften (Beziehungen im Heimatland und in Deutschland) und der Community (CSDs und Jugendorganisationen). Einzig das ebenso untersuchte Stereotyp des „Schillernd-Schrillen-Schwulen“ (Felix, 2015, S. 61) innerhalb der (A)Normalitätsdimension nach Hall (2) wird vor Gericht kaum evoziert. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse aus intersektionaler Perspektive diskutiert, wodurch sich Reflexionsanlässe für die sozialpädagogische und juristische Praxis ergeben.
StichwörterStereotype; Gender; Intersektionalität; Anerkennungsprozesse

Vortragende der Universität Münster

Spieker, Malina
Institut für Erziehungswissenschaft (IfE)