Boertz, Steffen; Dey, Madhubani; Herrmann, Fabian; Esch, Stefan; Sendker, Jandirk; Dobrindt, Ulrich; Hensel, Andreas
Forschungsartikel (Zeitschrift) | Peer reviewedZur Behandlung von Harnwegsinfektionen werden in der klinischen Praxis häufig Mischungen verschiedener Drogen verwendet. Eine in Deutschland weit verbreitete Standardzulassung „Blasen- und Nierentee I“ enthält u. a. Birkenblätter, Queckenwurzel, Riesengoldrutenkraut und Hauhechelwurzel. Ein Teeaufguss aus dieser Vierer-Drogenmischung ergab nach Gefriertrocknung den „kombinierten Extrakt“. Zusätzlich erfolgte aber auch eine separate Extraktion der 4 Drogen zu 4 Einzelextrakten, die nach Gefriertrocknung zum „separaten Extrakt“ zusammengemischt wurden. Keiner der beiden Extrakte beeinflusste die Proliferation von uropathogenen E. coli (Stamm UPEC-UTI89) und auch nicht die Viabilität von T24-Blasenzellen. Allerdings verringerte der „kombinierte Extrakt“ die Bindungsfähigkeit der Typ-1-Fimbrien des UPEC-Isolats CFT073 an T24-Blasenzellen signifikant. Diese Organellen von UPEC dienen u. a. der spezifischen Erkennung von Oberflächenstrukturen mit Mannoseresten auf den Wirtszellen und der damit verbundenen Anheftung der Bakterien an die Wirtszelle. Eine inhibierende Wirkung auf diese Pathogen-Wirt-Interaktion wurde lediglich für den kombinierten, nicht jedoch für den separaten Extrakt beobachtet. Die analytische Untersuchung beider Extrakte mittels LC-MS und weitere Bioassays zeigten, dass eine Reihe von malonylierten und acetylierten Dammaran-Triterpenen aus Birkenblättern in dem aktiven Extrakt angereichert waren. Der „separate Extrakt“ hingegen enthielt nur geringe Mengen dieser Triterpene. Extraktionsexperimente mit binären Mischungen aus jeweils lediglich 2 Drogen zeigten, dass die malonylierten Triterpene aus Birkenblättern nur in Gegenwart von Riesengoldrutenkraut angereichert wurden. Unter Verwendung spezifischer quantitativer Adhäsionsversuche mit humanen Blasenzelllinien und UPEC konnte gezeigt werden, dass der kombinierte Extrakt sowie eine mit Dammaranen angereicherte Fraktion (DEF) signifikante antiadhäsive Wirkungen gegenüber UPEC auslösten. Dies konnte auch in einem weiteren Testsystem unter Verwendung 3-dimensionaler RT4-Blasenepithelzell-Sphäroide belegt werden. Untersuchungen mittels qPCR zeigten, dass die mit DEF inkubierten Bakterien eine signifikante Herunterregulierung der Expression von Typ-1-Fimbriengenen aufwiesen, was mit einer verringerten Typ-1-Fimbrien-Bildung der Bakterien einhergeht. Gleichzeitig wurde auch eine stark erhöhte Motilität der behandelten Bakterien beobachtet. Im Prinzip bedeutet dies, dass durch die Triterpenfraktion aus Birkenblättern, die bei gleichzeitiger Anwesenheit von Riesengoldrutenkraut verbessert extrahiert wird, der Mechanismus zum Aufbau der bakteriellen Typ-1-Fimbrien inhibiert wird, was wiederum zu einer verminderten bakteriellen Adhäsion an Blasen- und Nierenzellen und damit auch zur reduzierten Infektion des Urothels führt. Parallel findet ein Wechsel von der statisch-adhäsiven zur motilen Lebensweise statt. Die Daten bieten eine gute Grundlage zur Rationalisierung komplexer Teemischungen im Sinne einer verbesserten Extraktion wirksamer Inhaltsstoffe. Sie erklären darüber hinaus, warum solche komplex zusammengesetzten Tees durchaus sinnvoll in der klinischen Praxis bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen eingesetzt werden können.
Sendker, Jandirk | Professur für Pharmazeutische Biologie (Prof. Hensel) |