In den zurückliegenden zehn Jahren ist im deutschen Schulsystem ein kontinuierlicher Anstieg privater Schulen zu verzeichnen. Ihr Anteil hat sich zwischen 2001 und 2011 von 5,8% auf 9,8% erhöht. Auch der Schüleranteil ist in diesem Zeitraum auf 8,5% gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt. Die Ursachen für die Attraktivität privater Schulen sind weitgehend ungeklärt. Gesellschaftlich wahrgenommene Defizite der öffentlichen Schulen werden hier ebenso angenommen wie Prozesse der Distinktion spezifischer gesellschaftlicher Milieus. Trotz Expansion und der gestiegenen, öffentlichen Wahrnehmung von Privatschulen, die mit einer Wertschätzung und medialen Präsenz einhergeht und ihre Attraktivität akzentuiert (u.a. Füller, 2010; Rühle, 2012; Plickert, 2012; Felber, 2012; Bombosch & Harmsen, 2013), können kaum gesicherte Aussagen zur Qualität von Schulen in privater Trägerschaft und die diese goutierenden Milieus getroffen werden, da die Datenlage für die deutschsprachigen Länder bislang „unterentwickelt und wenig systematisch" ist (Scheunpflug, 2012, S. 55). Zur Beschreibung des derzeitigen Forschungsstands zu Privatschulen wird auf Begriffe wie „terra incognita" (Pieroth & Barczak, 2012, S. 75) oder „Schattendasein" (Cortina, Leschinsky & Koinzer, 2009, S. 667) zurückgegriffen. Die Untersuchung setzt an dieser - nicht zuletzt schul- und gesellschaftspolitisch relevanten - Stelle an. Ihr Gegenstand ist zum einen, die Schulwahlmotive von Eltern, deren Kinder private Schulen besuchen, vor dem Hintergrund wahrgenommener Merkmale von Schulqualität zu untersuchen und diese mit den Schulwahlmotiven von Eltern zu vergleichen, deren Kinder eine staatliche Schule besuchen. Zum anderen werden, mit dem Fokus auf das sehr heterogene Feld privater Schulen, diese Wahlen in einer Typologie der Passung zu spezifischen Privatschulträgern verortet. Unter Zugrundelegung von Handlungstheorien rationaler Wahl einerseits und Bourdieus Habitus-Konzept andererseits wird danach gefragt, ob, wie und warum Eltern bestimmte Schulen wählen. Für den Privatschulsektor ist dabei von herausgehobener Bedeutung, wie im Zusammenspiel der Eltern mit den unterschiedlichen Schulträgern sich die Schulen als akzeptierte, typisierbare und gesellschaftspolitisch relevante Alternativen zu öffentlichen Schulen bzw. als „Ausweichschulen" (Bourdieu) konfigurieren. Zentral ist also 1) die Frage nach der Schulwahl: Welche Eltern bzw. welche Milieus wählen private bzw. öffentliche Schulen für ihre Kinder und welche nicht? Wie begründen erstere ihre Wahl vor dem Hintergrund der wahrgenommenen Schulqualität der von ihnen gewählten Schule bzw. anderer schulwahlrelevanter Motive wie Schulweg u.Ä.? Und 2) die Frage nach der Typisierung privater Schulen: Welche Privatschultypen werden mit welchen habituellen und sozio-kulturellen Charakteristika der Eltern resp. des Milieus in eine Passung gebracht? Wie wird von Seiten der unterschiedlichen und unterscheidbaren Privatschultypen/-träger ihrerseits eine Passung zu den Eltern/Kindern resp. zum gesellschaftlichen Milieu mit welchem pädagogischen, weltanschaulichen, religiösen oder sozialen Selbstverständnis hergestellt und ausgestaltet (‚doppelte Passung‘)? Sind - vor dem Hintergrund der Konkurrenz und Segregation - derartige Prozesse von Passung auch in öffentlichen Schulen sichtbar, die durch die Expansion privater Schulen befördert werden, und welche Effekte ergeben sich hieraus für das gesamte Schulwesen? Dabei wird sich das Projekt auf die Einzelschulwahl im privaten und öffentlichen Grundschulbereich in einem exemplarisch ausgewählten deutschen Bundesland (Berlin) konzentrieren. Methodisch werden quantitative und qualitative Verfahren der Befragung sowohl von Eltern als auch von Schulleitungen zur Anwendung kommen.
Gruehn, Sabine | Professur für Schultheorie/Schulforschung (Prof. Gruehn) |
Gruehn, Sabine | Professur für Schultheorie/Schulforschung (Prof. Gruehn) |
Habeck, Corinna | Professur für Schultheorie/Schulforschung (Prof. Gruehn) |
Schwarz, Judith | Professur für Schultheorie/Schulforschung (Prof. Gruehn) |