Ziel ist, Karikaturen als Gradmesser und Triebkraft säkularen und religiösen Wandels zu analysieren, um die multiplen gesellschaftlichen, konfessionellen und religionspolitischen Konfliktdimensionen während der europäischen Kulturkämpfe schärfer erkennen und differenzieren zu können. Der moderne Antiklerikalismus war im 19. Jahrhundert wie der moderne Antisemitismus ein europäisches Phänomen. Es reichte von der iberischen Halbinsel über Frankreich und Deutschland bis Schweden. Die sprachlich verfassten Diskurse einzelner Länder wurde bereits miteinander verglichen, nicht aber die Kultur der Karikaturenlandschaft. Untersucht werden Karikaturen, die sich gegen den Klerus, die Frömmigkeitspraxis sowie den politischen Katholizismus richten bzw. umgekehrt in den seltenen ultramontanen Karikaturen gegen antiklerikale, liberal-säkulare Strömungen. Bislang stützt sich die historische Erforschung neuzeitlicher Religion (und Politik) primär auf textliche Quellenüberlieferungen. Bilder wurden wenig, Karikaturen noch weniger untersucht und höchstens als willkommene Illustration beigemischt. Jenseits dieses Logozentrismus ist aber auch dieses Kommunikationsmedium ernst zu nehmen: als Ausdruck von Religion bzw. Religionsfeindschaft, von religiösem Wandel bzw. Religionskritik. Immerhin hat der “Iconic” oder “Visual Turn” die Geschichtswissenschaft vor mehr als zwei Jahrzehnten erreicht und sollte auch für die Religionsgeschichte nutzbar gemacht werden. Bilder und Karikaturen – seit den 1830er Jahren in Zeitschriften mit hohen Auflagen verbreitet – prägten und veränderten die religiöse Weltwahrnehmung. Deswegen werden sie etwa anhand der Berliner Bremse, des Ulk und Kladderadatsch systematisch als Indikator und Faktor des Wandels der bürgerlichen Gesellschaft, Selbstverständigung und Vergesellschaftung im Verhältnis zur Religion untersucht. Karikaturen markierten die Grenzen des “belonging”. Sie zielten nicht auf Religion und die Katholiken insgesamt, grenzten deren politische und kirchliche Protagonisten aber aus. Die “wahre” Religion war von einer klerikal überformten freizulegen. In Frankreich spaltete sich die Gesellschaft in ein klerikales und laizistisches Lager, in Deutschland galten Katholiken als Reichsfeinde. Karikaturen sollten die zeitgenössischen Betrachter:innen nicht nur amüsieren, sondern ihnen vor allem vermitteln, wem Zugehörigkeit zur eigenen (sozialen, nationalen, politischen, religiösen oder säkularen) Gruppe zugesprochen wird, wem sie abgesprochen wird und unter welchen Bedingungen “belonging” für die nicht Zugehörigen erreicht werden kann, etwa durch Aufgabe ihrer “Romhörigkeit”. Daneben werden antiklerikale mit antisemitischen Karikaturen verglichen. Gemeinsame Visiotype – Jesuiten wurden schon 1871 als Ungeziefer gezeichnet – sowie Unterschiede, insbesondere der Rassismus, lassen sich auf diese Weise entziffern.
Blaschke, Olaf | Exzellenzcluster 2060 - Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation Professur für Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte des 19. Jahrhunderts (Prof. Blaschke) |
Mende, Silke | Professur für Neuere und Neueste Geschichte mit besonderer Berücksichtigung des 19. bis 21. Jahrhunderts (Prof. Mende) Exzellenzcluster 2060 - Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation |
Blaschke, Olaf | Exzellenzcluster 2060 - Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation Professur für Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte des 19. Jahrhunderts (Prof. Blaschke) |
Mende, Silke | Professur für Neuere und Neueste Geschichte mit besonderer Berücksichtigung des 19. bis 21. Jahrhunderts (Prof. Mende) Exzellenzcluster 2060 - Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation |