In den letzten Jahren wurde die Diskussion, inwiefern es ein ‚Mittelalter‘ gegeben habe, mit neuer Energie geführt. Dabei kamen die bewährten methodologischen Vorbehalte gegen Epocheneinteilungen zur Sprache, die Eindeutigkeit und Strukturiertheit suggerieren, wo eine detailorientierte Forschung eher Ambiguitäten, fließende Übergänge und ein Wechselspiel von Kontinuitäten und Diskontinuitäten konstatiert. Die Göttinger Tagung strebt an, die aktuellen Debatten darüber, was ‚das Mittelalter‘ sei und ob es sich hierbei überhaupt um ein tragfähiges Konzept handele, als Teil der Fachgeschichte zu rekontextualisieren. Wer sich affirmativ, kritisch-prüfend oder negativ zum Konzept ‚Mittelalter‘ verhält, setzt sich unweigerlich auch in ein Verhältnis zur Geschichte der zuständigen Fächer sowie zu deren institutionellen und diskursiven Bedingungen und wird damit selbst Teil dieser Fachgeschichten. Von Beginn an war das Mittelalter eine mit Wertungen aufgeladene Deutungskategorie, die geschichtliche Verläufe nicht einfach konstatierte, sondern sie interpretierte. Es ist weitgehender wissenschaftlicher Konsens sein, dass Epocheneinteilungen vor allem heuristisch begründbar sind. Daher ist die Frage, ob wir noch ein Mittelalter brauchen, nicht allein dadurch zu beantworten, dass man auf temporale und räumliche Zusammenhänge der Zeitspanne zwischen 500 und 1500 blickt und dort eine Antwort erhofft. Notwendig ist zugleich eine kritische Analyse vergangener und aktueller mediävistischer Forschung. Die Tagung zielt dementsprechend darauf, die Rolle der Mediävistik bei der Konturierung ihres Gegenstandes, des Mittelalters, im Gesamt der historischen Disziplinen, also der Geschichtswissenschaft sowie anderer historisch arbeitender Disziplinen wie den Philologien, der Kunstgeschichte, der Philosophiegeschichte oder der Theologiegeschichte, zu untersuchen. Forschungsgegenstand und Methodik sind eng miteinander verknüpft, weswegen eine Debatte über ‚das Mittelalter‘ immer auch eine Methodendebatte ist und umgekehrt. Die Frage, welchen Themen sich die Mediävistik widmet und widmen sollte, lässt sich nicht unabhängig von ihrem Selbstverständnis im Gesamt der Disziplinen und gegenüber öffentlichen Debatten beantworten. Wenn ein verändertes Selbstverständnis oder äußerer Druck Neuausrichtungen erforderlich macht, hat dies Rückwirkungen auf strukturelle, personale, inhaltliche und methodische Konfigurationen, die es gemeinsam in den Blick zu nehmen gilt, um zu wissen, wohin die Reise gehen könnte. Deshalb geht die Tagung davon aus, dass die Geschichten von ‚dem Mittelalter‘ und ‚der Mediävistik‘ gemeinsam zu erzählen sind und nur diese gemeinsame Geschichte eine begründete Antwort ermöglicht, wie es weitergehen soll – mit dem Mittelalter und der Mediävistik.
Bubert, Marcel | Professur für Mittelalterliche Geschichte (Prof. Drews) |
Bubert, Marcel | Professur für Mittelalterliche Geschichte (Prof. Drews) |