Dissertationspreis der Evangelisch-Theologischen Fakultät  2025

Florian Neitmann beschäftigt sich mit dem vierten Esrabuch, einer jüdischen apokalyptischen Schrift. Diese wurde in Reaktion auf die Zerstörung Jerusalems durch die Römer (70 n. Chr.) geschrieben. Angesichts dieser Katastrophe streitet sich der Prophet Esra mit Gott, in dessen Namen ein Engel namens Uriel über zwei Probleme spricht. Das erste ergibt sich aus der traditionellen Vorstellung, dass Gott mit der Zerstörung Jerusalems sein Volk Israel dafür bestraft hat, sein Gesetz nicht befolgt zu haben. Laut Esra hielten die anderen Völker Gottes Gesetz auch nicht besser ein als Israel. Das zweite Problem ergibt sich aus der Vorstellung, dass alle Menschen, die das Gesetz nicht beachtet haben, nach dem Tod dafür bestraft werden. Die Hauptfrage der Arbeit ist, was mit diesem Gesetz Gottes gemeint ist: die Tora Israels oder ein universales Gesetz für alle Menschen? Die zentrale These ist, dass beide Vorstellungen miteinander verbunden sind und zwischen ihnen kein Widerspruch formuliert wird. Es wird also kein „Universalismus“ gegen einen „Partikularismus“ ausgespielt. Der Autor geht auch der Frage nach, inwiefern sich transkulturelle Verflechtungen in der Debatte über das Gesetz erkennen lassen, zum Beispiel mit stoischen Konzeptionen vom natürlichen Gesetz. Mit dieser neuen Perspektive auf das Gesetz im vierten Esrabuch kann die Arbeit das Verständnis von jüdischem Denken, das oft als „partikularistisch“ wahrgenommen wird, verändern, wie auch von universalem Denken in kulturspezifischen Formen überhaupt.