"Toutia": Hybride Identitäten in und um den Grenzraum Mittelmeer in Tahar Ben Jellouns Roman 'Partir' (2006)

Basic data for this talk

Type of talkscientific talk
Name der VortragendenRölver, Alina
Date of talk30/09/2016
Talk languageGerman

Information about the event

Name of the eventGrenzbeziehungen, Beziehungsgrenzen / Liaisons frontalières (10. Kongress des Frankoromanistenverbands)
Event period28/09/2016 - 01/10/2016
Event locationUniversität des Saarlandes, Saarbrücken
Event websitehttp://www.uni-saarland.de/page/frankoromanistentag/start.html
Organised byFrankoromanistenverband

Abstract

Tahar Ben Jellouns Roman Partir (2006) handelt von den Sehnsüchten und Träumen junger Marokkaner, die um alles in der Welt „là-bas" ihr Glück machen wollen, d.h. in Spanien, dessen nur 14 km entfernte Küste auf der anderen Seite der Meerenge von Gibraltar sie von Tanger aus sehen können; dafür nehmen sie auch den gefährlichen Weg einer illegalen Einreise über das Mittelmeer in Kauf. In mehreren Analysen wurde bereits auf verschiedene Funktionen hingewiesen, die das Mittelmeer in Partir einnimmt: Es ist dort eine semipermeable Grenze, die nur von Seiten Spaniens bzw. Europas ungehindert überschritten werden kann, nicht jedoch in die andere Richtung.[1] Es erscheint im letzten, surreal anmutenden Kapitel jedoch auch als eine Art Nicht-Ort für diejenigen, die keinen Platz in der Gesellschaft finden, weder in der maghrebinischen noch in der europäischen.[2] Gegenüber seinem territorial und räumlich stark segmentierten Ufer, das zahlreiche Staaten und ihre Grenzen umfasst, stellt das Mittelmeer selbst einen „leeren", oder besser einen Zwischenraum dar. In dieser Einzelfallanalyse soll erarbeitet werden, in welcher Verbindung Identitätskonstruktionen der einzelnen Romanfiguren zu diesem Zwischenraum stehen. Entsprechend dem Sektionsthema wird vom Konzept der performativen/hybriden Diaspora und Identitäten nach A. de Toro ausgegangen.[3] Besondere Aufmerksamkeit soll dabei der Figur bzw. Stimme „Toutia" geschenkt werden. Eine eindeutige Bestimmung dieser Figur vermeidet der Erzähler durch ausschließliche Verwendung von Pronomen; auf wen diese sich beziehen, d.h. wer genau „Toutia" ist, wird nicht explizit benannt. Sie wird - stets in Verbindung mit dem Mittelmeer - lediglich als verheerende Instanz bezeichnet, die sich von Zeit zu Zeit jedoch in eine vor der Überfahrt warnende Stimme verwandelt; sie ist zudem eindeutig als weiblich markiert.[4] Auf wen bezieht sich die Prosopopoiia, wem gehört die Stimme? Was und wie spricht sie? Ist „Toutia" das Mittelmeer selbst, oder ist sie nur mit ihm verbunden? Wie verhält sie sich in letzterem Fall zum Mittelmeer und zu seinen beiden Ufern - in diesem Falle Spanien und Marokko -, und wie zu den Romanfiguren? Welche Rolle spielt ihre explizite Zuschreibung als weibliches Element? Welchen Anteil hat „Toutia" und/oder das Mittelmeer am Situationsimperativ, der im Sinne de Toros bestimmend für die Identitätskonstruktion ist? Diesen Fragen möchte der Vortrag nachgehen, mit dem Ziel, die in der Forschung bereits skizzierte Rolle des Mittelmeers in Partir um Überlegungen auf Grundlage des holistischen Ansatzes der performativen/hybriden Diaspora und Identitäten zu erweitern, und schließlich um eine genauere Betrachtung des Elements „Toutia" und seiner Funktion in der literarischen Inszenierung des Mittelmeers zu ergänzen. [1] Vgl. Urban, Urs: „The Mediterranean as a geopolitical and geopoetic order region. Possible worlds beyond the border in fiction", in: Neohelicon XL (2013), S. 417-429. [2] Vgl. z.B. Pireddu, Nicoletta: „A Moroccan Tale Of An Outlandish Europe: Ben Jelloun‘s Departures For A Double Exile", in: Research In African Literatures 40.3 (2009), S. 16-36. [3] Toro, Alfonso de: Épistémologies. Le ‚Maghreb‘. Hybridité - Transculturalité - Transmédialité - Transtextualité - Corps - Globalisation - Diasporisation. 2. Auflage, Paris: L'Harmattan, 2011; Toro, Alfonso de: „Transnationen und Transidentitäten. Performative/hybride Diaspora und die Erzeugung von Differenz. Der Fall Maghreb", in: Ralph Buchenhorst (Hg.): Von Fremdheit lernen. Zum produktiven Umgang mit Erfahrungen des Fremden im Kontext der Globalisierung. Bielefeld: Transcript, 2015, S. 169-209. [4] „Ils l'ont surnommée «Toutia», un mot qui ne veut rien dire, mais entre eux ils savent que c'est l'araignée tantôt dévoreuse de chair humaine, tantôt bienfaitrice parce que transformée en une voix leur apprenant que cette nuit n'est pas la bonne et qu'il faut remettre le voyage à une autre fois." (Ben Jelloun, Tahar: Partir. Paris: Gallimard, 2006, S. 13).

Speakers from the University of Münster

Rölver, Alina
Professur für Romanische Philologie mit dem Schwerpunkt Französische Literaturwissenschaft (Prof. Bauer-Funke)