Steinl, Leonie
Research article (journal)Der Gesetzgeber hat im Oktober 2023 § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um „geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe und Ziele des Täters ergänzt. Die dritte Reform der allgemeinen Strafzumessungsnorm innerhalb des letzten Jahrzehnts ist die bisher folgenreichste. Die Reform zielt mit der Änderung der Vorschrift auch auf etablierte Rechtsprechungslinien zu trennungsbedingten Intimpartnerinnen-Femiziden und Sexualstraftaten in intimen Beziehungen, die bereits seit längerer Zeit in der Kritik des Schrifttums stehen. Der Beitrag skizziert die gesetzgeberischen Änderungen, bettet diese in den kriminalpolitischen Kontext ein und bewertet ihre dogmatische Anschlussfähigkeit. Die Beweggründe und Ziele des Täters gem. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB wurden in den letzten Jahren mehrfach durch den Gesetzgeber reformiert. 2015 wurden sie erstmals um spezifische Tatmotive ergänzt. „(R)assistische, fremdenfeindliche, oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe und Ziele sind dort seitdem explizit benannt. 2021 kamen „antisemitische“ Tatmotive hinzu. Ende 2023 wurden schließlich „geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe und Ziele ergänzt. Laut Gesetzesbegründung zielte diese letzte Änderung auf Taten, die sich gegen Frauen richten, sowie auf Hasskriminalität gegen LSBTI-Personen. Die Ergänzung des Wortlauts sollte dabei lediglich die (normative) Bekräftigung der geltenden Rechtslage darstellen, nach der Hass gegen Frauen und LSBTI-Personen bereits als Tatmotiv unter die „sonstigen menschenverachtenden“ Beweggründe fiele und damit im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen sei. Der Begriff „geschlechtsspezifisch“ solle jedoch nicht nur geschlechtsspezifische Hassdelikte erfassen, sondern auch Taten, die „handlungsleitend von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit geprägt“ sind. Dies ist nicht zuletzt auch als Hinweis an die Rechtspraxis zu verstehen, geschlechtsspezifische Tatmotive bei Straftaten gegen Frauen, insbesondere im Rahmen von Partnerschaften, zukünftig stärker zu berücksichtigen. Der vorliegende Beitrag untersucht Inhalt und Auswirkungen der Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um „geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe und Ziele unter Einbeziehung ihres kriminalpolitischen und strafrechtsdogmatischen Hintergrunds (I) und nimmt anschließend eine Bewertung der Gesetzesreform vor (II).
| Steinl, Leonie | Associate professor of Criminal Law, International Criminal Law and Interdisciplinary Legal Studies |