Pieper, Catania
Thesis (doctoral or post-doctoral)Schulische Praxisphasen stellen in Deutschland mittlerweile ein obligatorisches Element der universitären Lehrer:innenbildung dar (vgl. Bach 2013, 90). Sie gelten als wertvolle Orte der Professionalisierung für Lehramtsstudierende. Allerdings ist diese Annahme nicht unumstritten. Andauernde Diskussionen zur universitären Lehrer:innenbildung halten gleichermaßen den Diskurs zu schulischen Praxisphasen aufrecht, weil Forschungsbefunde zur Wirkung im Sinne einer Professionalisierung von Lehramtsstudierenden uneindeutig und teils sogar gegenteilig sind. Angesichts dessen werden schulische Praxisphasen hinsichtlich der Professionalisierung von Lehramtsstudierenden durchaus kontrovers diskutiert (vgl. Gronostaj et al. 2018, 61; Hascher 2006, 131; Neuweg 2016, 34). In diesem grob skizzierten Kontext ist die vorliegende Forschungsarbeit zu verorten. Sie knüpft an diese ambivalente Forschungslage an und erforscht Professionalisierungsanlässe und Professionalisierungsprozesse von Lehramtsstudierenden während einer schulischen Praxisphase, am Beispiel des Projekts ›Schule für alle‹. Ausgangspunkt der qualitativen Studie sind Erfahrungen, die die Studierenden während der Teilnahme am Projekt ›Schule für alle‹ als bedeutungsvoll erleben und auf einem sogenannten Reflexionsbogen (angelegt als eine Art Lerntagebuch) dokumentieren. Aus der Erfahrungswelt dieser relevanten Gruppe von Akteur:innen heraus bieten die inhaltsanalytischen Analysen (nach Mayring 2010, 2015), ergänzt durch einzelne sequenzielle Vertiefungsperspektiven, Auskunft über Professionalisierungsanlässe sowie Professionalisierungsprozesse. Fortwährend werden diese vor dem Hintergrund der konkreten Projektkonzeption analysiert, interpretiert und verortet. Eine solche konzeptionelle Diskussion bietet das Potenzial, die gewonnenen Erkenntnisse allgemein für schulische Praxisphasen argumentativ aufgreifen und anteilig übertragen zu können (vgl. Reinders 2016, 14). Ein Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, hochschuldidaktische Implikationen sowohl für die Projektkonzeption als auch in einer übergeordneten Form für schulische Praxisphasen allgemein zu formulieren. Die vorliegende Forschungsarbeit begleitet Bachelorstudierende des Lehramts ›Grundschule‹ und des kombinierten Studiengangs ›Grundschule mit Integrierter Sonderpädagogik‹ während der Absolvierung ihres Berufsfeldpraktikums im Projekt ›Schule für alle‹. ›Schule für alle‹ ist seit 1994 an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld fest etabliert. Das Projekt richtet sich sowohl an Studierende (4. bis 5. Bachelorsemester), denen es einen einzigartigen Ort der Professionalisierung bietet, als auch gleichermaßen an Grundschulkinder, die von bildungsrelevanten Benachteiligungsfaktoren umgeben und/oder bedroht sind (vgl. Hänsel 1996, 174). Ein Jahr lang leisten die Studierenden eine pädagogische Einzelfallarbeit (ca. 2 bis 3 Stunden pro Woche), die das Fundament für eine vertrauensvolle Beziehung schafft. Die individuelle Förderung greift die spezifischen Ausgangssituationen der Kinder auf und beinhaltet i. d. R. sowohl schulische als auch außer-schulische Schwerpunkte (vgl. Kottmann 2007a, 33). Aufgrund der besonderen Projektkonzeption und unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Diversität schulischer Praxisphasen (gesetzliche Vorgaben, hochschuldidaktisches Konzept u. v. m.) werden die Ergebnisse der vorliegenden Studie stets entsprechend der Kohärenz der konzeptionellen Gestaltung des Projekts ›Schule für alle‹ interpretiert. Zentraler Gegenstand der Untersuchungen sind die sogenannten Reflexionsbögen, auf denen die Studierenden (N = 15) im zwei- bis dreiwöchigen Rhythmus ihre als bedeutungsvoll erlebten Erfahrungen dokumentierten und reflektierten (N = 111). Erhoben über die (individuelle) Sichtweise der Studierenden, analysiert über die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010, 2015), bilden die induktiv gewonnenen Kategorien (kollektive) Gemeinsamkeiten ab, die Grundlage der Analysen und Interpretationen sind. Die gewonnenen Ergebnisse der Dissertationsschrift geben zunächst darüber Aufschluss, welche Erfahrungen die Studierenden während dieser Praxisphase als bedeutungsvoll wahrnehmen, inwiefern diese Professionalisierungsanlässe beinhalten (›was‹) und sich Professionalisierungsprozesse vollziehen (›wie‹). Reflexion und Erfahrung nehmen im Kontext der Studie jeweils eine zweifach relevante Rolle ein und begleiten die Arbeit fortwährend. Reflexion ist zum einen der Kern des Erhebungsinstruments, das Aufschlüsse über die inneren und äußeren Professionalisierungsanlässe und Professionalisierungsprozesse hervorbringt. Zum anderen wird die Reflexion als Merkmal von Professionalität verstanden, sodass sie auch Gegenstand der Auswertung, Erkenntnisse und Ergebnisse ist. Erfahrung – verstanden nach John Dewey (1916,1938) – ist nicht nur der Ausgangspunkt der Forschung, sondern sie dient auch der theoretischen Auseinandersetzung mit dem deweyschen Erfahrungsverständnis im Sinne einer Analyse-, Interpretations- und Diskussionsfolie der Ergebnisse. In der Bilanz ist zu erkennen, dass sämtliche Kategorien grundsätzlich Professionalisierungsanlässe darstellen und somit als wertvoll hinsichtlich des Professionalisierungsprozesses einzuschätzen sind. Parallel dazu zeigt sich, dass nicht alle Lehramtsstudierenden im gleichen Maße die Professionalisierungsanlässe wahrnehmen und nutzen. Mitunter schöpfen die Studierenden projektspezifische Potenziale wenig bis teilweise gar nicht aus. Diverse Faktoren sind hierfür relevant: Zum einen ist es die individuelle Wahrnehmung, Zuwendung und Nutzung dieser Professionalisierungsanlässe seitens der Studierenden, zum anderen sind es auch konzeptionelle und akteursbedingte Faktoren, die (inhaltliche) Hinweise sowie (didaktische) Impulse zur Weiterentwicklung des Projekts ›Schule für alle‹ markieren. Gegenüber bereits existierenden Forschungsarbeiten, die sich der Professionalisierung von Lehramtsstudierenden in schulischen Praxisphasen näherten, liegt der Mehrwert des vor-liegenden Forschungsvorhabens darin, die subjektive Sichtweise dieser relevanten Akteursgruppe klarer sehen und besser verstehen zu können. Ihre Sichtweisen auf schulische Praxisphasen machen es möglich, hochschuldidaktische Implikationen zu formulieren und damit den hochschulpolitischen Diskurs zur Professionalisierung von Lehramtsstudierenden während schulischen Praxisphasen weiter anzuregen.
| Pieper, Catania Naghia Jessica | International Centre for Talent Research |