Archäologische Funde, die das religiöse Handeln des Menschen in der Vorgeschichte wiederspiegeln, bieten einen interessanten Einblick in die Vorstellungswelt vergangener Zeiten und Kulturen. Die kulturelle Einordnung solcher Funde, die im Rahmen der deutsch-bulgarischen Ausgrabungen in Drama, Südostbulgarien, seit den 1980er Jahren zutage kamen, ihr Kontext und ihre mögliche Bedeutung stehen im Fokus eines Forschungsprojektes, das seit 2009 an den Universitäten Saarbrücken und Münster durchgeführt wird. Die Kleinfunde, die im Blickfeld der Untersuchungen stehen, umfassen anthropo- und zoomorphe Figurinen und Gefäße, Hausmodelle, Tonplaketten, Stempel, Miniaturmöbel und andere Gattungen. Sie stammen in ihrer Mehrheit aus Häusern des Siedlungshügels Drama - "Merdžumekja", die in die frühe und mittlere Kupferzeit datiert werden können (Phasen Marica I-III und Marica IV/Karanovo V). Einzelne Stücke gehören auch der späten Kupferzeit (Karanovo VI) an. Vergleichbare Stücke wurden auch in zahlreichen anderen Tellsiedlungen Bulgariens und Rumäniens gefunden. Nachdem viele dieser Tellsiedlungen jedoch alt gegraben wurden, ist ihr ursprünglicher Fundkontext oft nicht sicher. Hinzu kommt, dass nur die wenigstens Grabungen ausgewertet und vorgelegt wurden. Insofern steht zu hoffen, dass sich mit der Aufarbeitung der Kleinfunde aus Drama neue Deutungsansätze für diese Fundgruppe formulieren lassen und die Vorlage der Stücke neue Impulse für die Erforschung von religiösen Vorstellungen in der Vorgeschichte Südosteuropas geben kann. Die bislang vorgenommenen Arbeiten umfassen die Erstellung eines Kataloges der Kleinfunde, der Angaben zu den Fundumständen, eine Beschreibung, Maße und die Datierung beinhaltet. 2009 und 2010 wurden die Funde zudem sämtlich fotografisch und, sofern nicht bereits in früheren Kampagnen geschehen, zeichnerisch dokumentiert. Die Aufnahme beinhaltet ca. 400 anthropomorphe Figurinen aus Ton, 75 Figurinen aus Knochen, etwa 150 zoomorphe Figurinen und Gefäße, 75 "Plaketten", elf Tonstempel sowie etwa 250 sogenannte "Kulttischchen", Miniaturmöbel und Hausmodelle. Detailanalysen Im Fokus standen zunächst die anthropomorphen Figurinen. Die ersten Analysen zu dieser Fundgattung wurden im Sommer 2010 durchgeführt. Sie richteten sich auf den Herstellungsprozess der Stücke. Da ein Großteil des Materials nur fragmentarisch erhalten ist, stellte sich die Frage nach möglichen Gründen. Im Bruch vieler Figurinen war erkennbar, dass sie aus einzelnen Teilen gefertigt wurden. Diese Teile wurden anschließend durch Stifte aus organischem Material oder einen glättenden Überzug miteinander verbunden. Die nur oberflächliche Verbindung war meist nicht sehr haltbar, sodass die Figurinen leicht wieder in ihre Einzelteile zerbrachen. Dies lässt vermuten, dass die Zerstörung der Figurinen gewollt war und zu einem bestimmten Zeitpunkt absichtlich vollzogen wurde, ein Umstand, der in Bezug auf die Interpretation der Stücke von Bedeutung ist. Nach ihrer Fragmentierung fielen die Figurinen offenbar einer schleichenden Entsorgung anheim, sie finden sich oft in Vergesellschaften mit regulärem oder scheinbar regulärem Siedlungsabfall in und um die Häuser der Siedlung. Allerdings war es trotz der langjährigen Grabungen und der großen geöffneten Flächen in der Regel nicht möglich, zerbrochene Figurinen aus den Einzelteilen wieder zusammenzufügen, denn zahlreiche Bruchstücke wurden nicht gefunden. Es stellt sich die Frage, ob den fehlenden Bruchstücken eine gesonderte Behandlung zukam, die ihr Auffinden vereitelt, oder ob lediglich allgemeine taphonomische Prozesse hinter dem Verschwinden dieser Fragmente stehen. Außerdem wurde eine vorläufige Unterteilung der Figurinen in zwei verschiedene Typen vorgenommen, die sich auf Grund ihrer körperlichen Gestalt voneinander unterscheiden. Ein Typ ist durch einen ungegliederten, säulenartigen Körper gekennzeichnet, bei dem Beine oder Füße nicht vorhanden sind. Der andere Typ weist dagegen einen erkennbaren Ober- und Unterkörper sowie Beine und Füße auf und wirkt aufgrunddessen naturalistischer. Die Klärung des Mengenverhältnisses der beiden Typen sowie Untersuchungen zur Fragmentierung und eine Analyse der Verzierung sind Ziel der kommenden Monate. Wichtig für eine Einordnung in das kulturelle Geschehen in der Kupferzeit Südosteuropas ist der überregionale Vergleich der Funde von Drama. Zu diesem Zweck konnten auf einer Museumsreise im März des Jahres 2010 die Kleinfunde zahlreicher Museen in Bulgarien und auch Südrumänien in Augenschein genommen werden. Dabei zeichnete sich ab, dass die auch in anderen Bereichen der materiellen Kultur fassbare Trennung Bulgariens in eine Ost- und eine Westhälfte an Hand der Kleinfunde ebenfalls nachvollziehbar ist. Unterschiedliche Typen bzw. einander ausschließende Verbreitungsgebiete für verschiedene Fundgattungen weisen darauf hin. Bereits beim jetzigen Forschungsstand zeichnet sich ab, dass die Kleinfunde aus Drama starke Bezüge nach Norden, in den Bereich der Gumelniţa-Kultur Rumäniens, und nach Nordosten zur Kulturgruppe Stoicani-Aldeni, die als Mittler zum Cucuteni-Tripolje-Bereich des Nord- und Nordwestpontikums definiert werden kann, aufweisen. Darüberhinaus finden die Kleinfunde von Drama, vor allem die anthropomorphen Figurinen, aber auch sogenannte T-förmige Knochenidole, gute Parallelen im bekannten Gräberfeld von Varna. Die "Tonmasken" aus den symbolischen "Maskengräbern", Kenotaphen mit reicher Beigabenausstattung, verfügen über Merkmale wie goldene Stecker unter dem Mund und Goldohrringe, wie sie an den Figurinen aus Ton in Form von Lochungen und Anbohrungen angedeutet sind. Diese Ähnlichkeiten in Verbindung mit der allfälligen Zerstörung der Figurinen können dazu inspirieren, ihre Deutung auch im Bereich des Totenrituals bzw. in Zusammenhang mit Jenseitsvorstellungen zu sehen. Ausblick Weitere Untersuchungen werden sich den anderen Gattungen der Kleinfunde widmen. Es ist darüberhinaus zu analysieren, in welchem Zusammenhang die Stücke zueinander stehen und was über ihre Fundumstände, ihren Gebrauch und letztlich ihre Deponierung ausgesagt werden kann. Für ihre Unterstützung geht mein Dank an Vassil Nikolov und Krum Băčvarov (beide NAIM-BAN) sowie in besonderem Maße auch an Ilija Iliev, Direktor des Historischen Museums Jambol, und Neli Čamova sowie Carmen Keßler. Literatur V. Becker, Anthropomorphe Plastiken Westbulgariens und ihre Stellung im südosteuropäischen Frühneolithikum. Studia Praehistorica 13, 2010, 23-40. V. Becker, Chalcolithic clay stamps from Bulgaria. Studia Praehistorica 14, 2011, 283-302. V. Becker, Zur Zerstörung geschaffen. Anthropomorphe Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas. In: Fokus Jungsteinzeit - Berichte der AG Neolithikum 3 (Kerpen-Loogh, in Druck). J. Lichardus/A. Fol/L. Getov/R. Echt/R. Gleser/R. Katinčarov/D. Vollmann/F. Fecht/I. K. Iliev, Bericht über die bulgarisch-deutschen Ausgrabungen in Drama (1996-2002). Neolithikum - Kupferzeit - Bronzezeit - Eisenzeit - Römerzeit. Ber. RGK 84, 2003, 155-221.
Becker, Valeska | Professorship for pre- and early history |