Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Cornelia Blasberg: Von der heutigen Bevölkerung der Bundesrepublik gehören nur noch ungefähr 18 % zur Generation der Zeitgenossen von Nationalsozialismus und Holocaust, 45 % hingegen sind nach 1972 geboren. Diese sind selbstverständlich weder politisch noch persönlich für die Untaten der Hitler-Diktatur verantwortlich zu machen, und doch stehen sie weiterhin – wenn auch in schwächerem Maße als ihre Großeltern und Eltern – im Bann einer kollektiven (Selbst-)Zuschreibung von Schuld und Versagen. Aufgrund dieser intrikaten Gemengelage aus Kontinuität und Diskontinuität muss die ›dritte‹ und ›vierte‹ Generation nach dem Holocaust an die Bewältigungsstrategien ihrer Vorgänger anschließen und ist gleichzeitig gezwungen, nach eigenen Wegen des Umgangs mit der deutschen Vergangenheit zu suchen. Der Wunsch nach Neu-Orientierung ist allgemein stark und überall spürbar, je nach Diskurs- und Praxisfeld nimmt seine Realisierung jedoch individuelle Formen an. Wenn die Ringvorlesung versucht, die prägnanten Erscheinungsformen dieser Suchbewegung namhaft zu machen, sie zu beschreiben und zu analysieren, dann zieht das zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit der traditionellen und in der Öffentlichkeit bis heute geübten ›Bewältigungs‹- und ›Erinnerungs‹-Praxis nach sich, wie sie von der Politik, von Museen und Schulen, psychologischer und historischer Forschung in großer Vielfalt und durchaus kontrovers vorangetrieben wird. Ohne eine solche Auseinandersetzung haben Innovationsbestrebungen keine Chance. Umgekehrt wird deutlich, dass man sich der ›Geschichte‹ nicht wie eines Reservoirs unumstößlicher Formeln bedienen kann, sondern dass ›Geschichte‹ das, was gewesen ist, im Licht sich verändernder Zukunftserwartungen immer wieder neu interpretiert. Im Mittelpunkt der Ringvorlesung werden drei Themenbereiche stehen: 1. Tradierung und Interpretation der Erfahrung von Nationalsozialismus und Holocaust im sozialen Nahbereich der Familie, wobei vor allem das Verhältnis zwischen den Generationen und das Selbst- und Geschichtsverhältnis der ›dritten‹ und ›vierten‹ Generation interessiert. 2. Institutionen historischer Wissensvermittlung (Universitäten, Schulen, Museen etc.) als Orte der Neukonzeptualisierung historischen Wissens. 3. Literatur und Kunst als Foren symbolischer Kommunikation über den Holocaust.
Birkmeyer, Jens | Germanistisches Institut - Abteilung: Literatur- und Mediendidaktik |