Wer die Geheime Offenbarung des Neuen Testaments liest, stößt auf ein ungeheuerliches Gewaltpotential: den Traum davon, dass die Ungläubigen am Ende samt und sonders abgeschlachtet werden und ihr Fleisch den Vögeln zum Fraß vorgeworfen wird (Offb 19). Der Problemhorizont „Religion und Gewalt“ ist damit zentral getroffen: Ist auch die Offb ein Beispiel dafür, dass die Behauptung der eigenen religiösen Wahrheit zu Gewaltbereitschaft allen Andersdenkenden gegenüber führt? Um sich dieser Frage zu stellen, plant das Projekt einen kulturgeschichtlich vermittelten, historisch-kritischen Zugang: Die Texte werden aus der Entstehungssituation heraus verstanden, um ihre ursprüngliche Intention zu eruieren und von daher der Rezeption in der eigenen (Kirchen-)Geschichte kritisch zu begegnen. Voraussetzung dafür ist die eingehende Analyse der Gewaltszenen in der Offb und des dort zugrunde gelegten Machtkonzepts, innerhalb dessen den ChristInnen eine absolut gewaltfreie Rolle zugedacht ist. Denn an keiner Stelle des Textes werden sie zu Gewalttaten aufgefordert. Darüber hinaus will das Projekt den Text vor dem Hintergrund der Gewalt-spectacula des Römischen Reiches betrachten, also den Tierhetzen, Hinrichtungsszenen und Gladiatorengefechten in den Amphitheatern. In den gewalttätigen „Spielen“ inszenieren die römischen Kaiser äußerst publikumswirksam ihre eigene Weltordnung: der Kaiser als Herr über die Natur (Tierhetzen), als Garant von Gerechtigkeit (Hinrichtungen der übeltäter) und Motivator der römischen Werteordnung (der tapfere Gladiator, der dem Tod ins Angesicht schaut, hat überlebenschancen).
Ebner, Martin | Department of Exegesis of the New Testament |
Ebner, Martin | Department of Exegesis of the New Testament |
Esch-Wermeling, Elisabeth | Department of Exegesis of the New Testament |