Mediatisierung qualitativ erforschen und theoretisch erweitern: Medienethnografie als theoriegenerierendes Forschungssetting

Grunddaten zum Vortrag

Art des Vortragswissenschaftlicher Vortrag
Name der VortragendenRöser, Jutta; Niemand, Stephan
Datum des Vortrags12.05.2022
VortragsspracheDeutsch

Informationen zur Veranstaltung

Name der Veranstaltung3. Tagung des Netzwerks Qualitative Methoden „Theorien in der qualitativen Forschung“
Zeitraum der Veranstaltung12.05.2022 - 13.05.2022
Ort der VeranstaltungFU Berlin
Webseite der Veranstaltunghttp://www.netzwerkqualitativemethoden.de
Veranstaltet vonNetzwerks Qualitative Methoden

Zusammenfassung

Mediatisierung qualitativ erforschen und theoretisch erweitern: Medienethnografie als theoriegenerierendes Forschungssetting Im Beitrag soll eine qualitative Panelstudie zum häuslichen Medienhandeln erstens im Hinblick auf ihre „Theorien für qualitative Forschung“ (Themenbereich 1) sowie zweitens im Hinblick auf die gewonnenen „Theoriekonzepte aus der qualitativen Forschung“ (Themenbereich 4) reflektiert werden. Bei der Panelstudie handelte es sich um eine Langzeitstudie auf Basis qualitativer Haushaltsstudien mit Paaren. Diese zielte thematisch auf die Verhäuslichung des Internets und ihre Folgen für Alltag, Zusammenleben, häusliche Kommunikationskulturen und Medienrepertoires. 1. Theorien für qualitative Forschung: Mediatisierung und Domestizierung Am Beginn des Forschungsprojekts standen die beiden Ansätze Mediatisierung (Krotz 2007) und Domestizierung (Silverstone und Hirsch 1992; Hartmann 2013). Dabei wurde der domestication-Ansatz als Konkretisierung von Mediatisierungsprozessen gefasst, der einen spezifischen Kontext – das mediatisierte Zuhause – in den Blick nimmt (Röser et. al. 2019; Röser et. al. 2017). Vorgestellt werden die gemeinsamen Prinzipien beider Ansätze, die im Projekt erstmals herausgearbeitet wurden. Anschließend wird begründet, inwieweit aus den gemeinsamen Prinzipien spezifische Anforderungen an das methodische Vorgehen folgten, insbesondere: Prozessorientierung, Aneignungsperspektive und Alltagsorientierung. 2.         Methoden der Studie Im Vortrag wird erläutert, dass diese Anforderungen methodisch in Form einer medienethnografisch-orientierten Untersuchungsanlage erfüllt wurden. Um Mediatisierung und speziell Veränderungen des häuslichenMedienhandelns prozessorientiert zu analysieren, erwies sich eine qualitative Panelstudie in Form von „akkumulierte[n] ethnografische[n] Miniaturen“ (Bachmann und Wittel 2006, S. 191) als passgenau. EineAneignungsperspektive realisierten wir über leitfadengestützte Paarinterviews, um so die Bedeutung von Medien aus Sicht der Subjekte zu rekonstruieren. Eine Alltagsorientierung erreichten wir, indem wir die Interviews im Zuhause der Befragten durchführten und durch Wohnungsbegehungen ergänzten sowie die Alltagsgestaltung und speziell die Paarkonstellation als relevanten Kontext des Medienhandelns in den Interviews thematisierten. Konkret gestaltete sich das methodische Gesamtsetting so, dass wir 25 nach Alter und Schulbildung quotierte Paarhaushalte zu vier Zeitpunkten über acht Jahre (2008-2016) zu ihrem häuslichen Medienhandeln befragten (Röser et. al. 2019). 3. Theoriekonzepte aus der qualitativen Forschung: „Dynamik und Beharrung“ sowie„Mediatisierte Lebensführung“ Das Projekt konnte mit seinen Befunden einen Beitrag leisten, den Mediatisierungsansatz theoretischweiterzuentwickeln und zu ergänzen. Zwei gewonnene Theoriekonzepte sollen im Vortrag näher vorgestellt werden. 3.1.  Dynamik und Beharrung in der Mediatisierung Durch die Prozessperspektive wurde auffällig, dass sich im mediatisierten Zuhause keineswegs ‚alles‘ radikal verändert, sondern viele über Jahrzehnte etablierte Mediennutzungsweisen von den Menschen auch in Zeiten von Digitalisierung und Mobilisierung beibehalten wurden. Wir haben dies als Wechselspiel von Dynamik und Beharrung in den mediatisierten Praktiken der Menschen gefasst. Beharrungsmomente sind dabei nicht Gegensatz, sondern ebenso wie Dynamik Bestandteil von Wandel. Diese dialektische Konzeption hat sich alshilfreiche Fundierung für die Auswertungen erwiesen, wie an Beispielen gezeigt wird. Als Hintergrund solcher Aushandlungsprozesse wird die sinnvolle Gestaltung ihres Alltags als handlungsleitende Maxime der Menschenherausgestellt. 3.2.   Mediatisierte Lebensführung Im Kontrast zu dem eher schrittweisen und wenig radikalen Wandel beobachteten wir auch Phasen hochdynamischer Veränderungen im Medienrepertoire der Paare. Diese wurden durch Alltagsumbrüche wieElternschaft, Trennungen oder Umzüge angestoßen. Nichts hat in unserer Studie so viel Wandel erzeugt, wie Umbrüche im Alltag. Zur Analyse dieses Zusammenhangs entwickelten wir in Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial und unter Hinzunahme soziologischer Theorien das Konzept der Mediatisierten Lebensführung (Niemand 2020, 2021). Zentral ist hierbei die Systematisierung des Alltags in verschiedene Strukturdimensionen (zeitlich, räumlich, inhaltlich, sozial, sinnbezogen, materiell, emotional und körperlich). Erstmals konnten so Veränderungen in der Alltagsstruktur systematisch mit einem Wandel des Medienhandels in Beziehung gesetzt werden.
StichwörterQualitative Methoden; Mediatisierung; Domestizierung; Theorieentwicklung; Ethnografie; Medienethnografie; Mediatisierte Lebensführung; Mediatisierte Zuhause; Panel

Vortragende der Universität Münster

Niemand, Stephan
Professur für Kommunikationswissenschaft, Schwerpunkt: Mediensoziologie (Prof. Röser)
Röser, Jutta
Professur für Kommunikationswissenschaft, Schwerpunkt: Mediensoziologie (Prof. Röser)