Im Rahmen des neuen Münsteraner Sonderforschungsbereichs 1150 "Kulturen des Entscheidens" erforscht die Abteilung für Osteuropäische Geschichte in den nächsten Jahren die spezifischen Formen des Entscheidens in sozialistischen Machtstrukturen des östlichen Europa. Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ab 1. Juli geförderte Sonderforschungsbereich untersucht insgesamt die soziale Praxis des Entscheidens in historisch vergleichender und interdisziplinärer Perspektive vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dabei wird Entscheiden als eine besondere Form des sozialen Handelns verstanden, das dazu dient, Komplexität zu bewältigen, und je nach kulturellem Kontext unterschiedlich gerahmt, modelliert und inszeniert wird. Mit dem östlichen Europa und seiner sozialistischen Gesellschaftsform widmet sich das von Eduard Mühle geleitete Teilprojekt C 07 in diesem Zusammenhang einem ebenso spezifischen wie für das 20. Jahrhundert besonders wirkmächtigen kulturellen Kontext. Im Vordergrund der Forschungen der ersten Förderphase steht dabei zunächst die kommunistische Tschechoslowakei. An ihrem Beispiel wird Stefan Lehr als Projektbearbeiter die konkreten, alltäglichen Modi der Entscheidungsfindung in Staaten mit faktischer Einparteienherrschaft und parallelen staatlichen und von Funktionären der kommunistischen Parteien dominierten Strukturen untersuchen. Das Projekt ist als eine institutionell-organisatorische Topographie des Entscheidens konzipiert und nimmt hierzu verschiedene Organe der politischen Beschlussfassung wie das Politbüro des Zentralkomitees und das Präsidium der Regierung sowie die von beiden Institutionen eingesetzten Kommissionen und den ZK-Apparat in den Blick. Den Schwerpunkt legt es auf das Politbüro als politisches Macht- und Entscheidungszentrum. Die daraus gewonnenen Befunde sollen an zwei unterschiedlichen Politikfeldern - dem Konsum und der Versorgung sowie der Atompolitik - konkret vertieft und verifiziert werden. Die Modi des Entscheidens werden anhand der Schwerpunkte des Agenda-Settings und des Verhältnisses von Formalität und Informalität untersucht. Bei der Frage nach den Ressourcen geht es primär darum, wie die der Parteispitze zugehenden Informationen den Prozess des Entscheidens beeinflussten. Mit Blick auf die Darstellung und Narrative untersucht das Projekt, ob und wie das Verfahren des Entscheidens auf den Sitzungen von Politbüro, Regierung und Zentralkomitee sowie bei Parteitagen in den parteieigenen Veröffentlichungen und in den gelenkten Medien dargestellt und inszeniert wurde. Modi des Entscheidens unterlagen auch im Sozialismus einem Wandel. Es wird danach gefragt, wie sich diese Veränderungen aufgrund von Theorie und Technik konkret auswirkten. Methodisch knüpft das Projekt an Ansätze der neo-institutionalistischen Organisationstheorie an, welche die Rational-Choice-Theorie und individualistische Entscheidungstheorien kritisch hinterfragen. Dadurch soll die tradierte positiv-rationale Selbstwahrnehmung seitens der Entscheider und der damaligen Medien historisiert werden.
| Mühle, Eduard | Professur für Ost-und Ostmitteleuropäische Geschichte (Prof. Mühle) |
| Mühle, Eduard | Professur für Ost-und Ostmitteleuropäische Geschichte (Prof. Mühle) |
| Lehr, Stefan | Historisches Seminar - Abteilung für osteuropäische Geschichte (AOEG) |