Das Projekt hat zwei Schwerpunkte, die thematisch eng aufeinander bezogen sind, historisch jedoch unterschiedliche Abschnitte der Geschichte Israels betreffen. In einem ersten Schwerpunkt sucht das Projekt die These zu erweisen, dass die im Alten Orient verbreitete ambivalente Deutung von Natur, die sich im Motiv der gezähmten Chaosmächte symbolisch verdichtet hat, auch in den eisenzeitlichen Königtümern Israel und Juda geteilt wurde und hier wie andernorts zur Begründung von Herrschaft diente. Zu diesem Zweck soll anhand der im Alten Testament enthaltenen königszeitlichen Texte sowie anhand textlicher und vor allem ikonographischer Primärquellen, die sich aus der Königszeit erhalten haben, die althebräische Königsideologie möglichst umfassend rekonstruiert werden. Als Leitmotiv der Rekonstruktion soll der in Texten und Bildern bezeugte Motivkreis der gezähmten Chaosmächte dienen, der anhand des darin vorausgesetzten Zusammenwirkens von göttlichem und irdischem König auf seine königsideologischen Implikationen befragt werden soll. Ein zweiter Schwerpunkt gilt den tiefgreifenden Transformationen, die der Motivkreis des gezähmten Chaos im Gefolge des Untergangs der Königtümer Israel und Juda erfuhr. Die Transformationsprozesse, die durch die sukzessiven Katastrophen der Königsherrschaft vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v.Chr. ausgelöst wurden, sollen exemplarisch zunächst anhand von Schlüsseltexten des Deuteronomiums analysiert werden, da dieses Buch wahrscheinlich an der Schwelle von der späten Königszeit zur nachköniglichen Zeit steht. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf Texten aus den Rahmenkapiteln des Deuteronomiums, in denen Naturmotivik begegnet (v.a. Dtn 32 und 33). Dass diese Texte, zumindest in ihrer jeweils vorliegenden Endgestalt, auf die heilsgeschichtliche Theologie der Pentateucherzählung bezogen sind, in deren Mitte die Vorstellung der Gottunmittelbarkeit des Gottesvolkes Israel steht, hat die in ihnen enthaltene Naturmotivik in hohem Maß geprägt und die Vorstellung des gezähmten Chaos in den Hintergrund gedrängt; gleichzeitig sind aber nicht wenige überraschende traditionsgeschichtliche Kontinuitäten zu beobachten (z.B. bei Motiven aus dem Vorstellungskreis des königlichen Wettergottes in Dtn 28 und 33), deren theologischer Sinn bislang höchstens ansatzweise erfasst wurde. Indem das Projekt diese Prozesse rekonstruiert, trägt es dazu bei, die Theologie des Deuteronomiums, gerade was seine jüngeren Schichten betrifft, in einen religionsgeschichtlichen Horizont zu stellen. In der zweiten Projektphase soll die Untersuchung dieser Transformationsprozesse auch auf andere Schlüsseltexte der heilsgeschichtlichen Theologie des Alten Testaments (Gen 1; 6-9; Ex 14; Ps 77; 78; 105; 106; 114) ausgeweitet werden.
Müller, Reinhard | Professur für Altes Testament (Prof. Müller) |
Müller, Reinhard | Professur für Altes Testament (Prof. Müller) |