Die männliche Infertilität ist in den meisten Fällen durch eine gestörte Spermatogenese gekennzeichnet, die in der Ejakulatanalyse durch eine verringerte Spermienzahl auffällt. Die nicht-obstruktive Azoospermie (NOA), die durch das völlige Fehlen von Spermatozoen im Ejakulat gekennzeichnet ist, ist die klinisch schwerwiegendste Form. Eine Hodenbiopsie mit dem Ziel der testikulären Spermienextraktion bleibt die einzige Chance leibliche Kinder zu bekommen. Bei der Mehrheit der azoospermen Patienten werden genetische Ursachen vermutet. Jedoch wird derzeit bei mehr als 50% der betroffenen Männer keine kausale Diagnose gestellt, so dass diese ungeklärt („idiopathisch") bleiben.Innerhalb der KFO haben wir einen der größten Datensätze mit Exomen von infertilen Männern produziert, darunter >500 NOA-Patienten, von denen >200 einen histologisch nachgewiesenen Sertoli-Cell-Only Phänotyp (SCO, keine Keimzellen im Hoden) und >60 einen meiotischen Arrest der Spermatogenese aufweisen. Diese Daten ermöglichten die Identifizierung mehrerer neuer Gene, in denen Mutationen NOA verursachen. Beispiele dafür sind TEX11, STAG3, SYCP2 und M1AP. Für einige dieser Gene wurde die molekulare Rolle während der Spermatogenese bereits aufgeklärt, z.B. in Modellsystemen. Für andere Gene ist die Funktion des kodierten Proteins bisher unklar, was den Ausgangspunkt für nachfolgende Analysen bildet. Ebenso können Varianten in diesen Genen benigne oder pathogen sein, doch ohne geeignete Tests basiert die Bewertung ausschließlich auf in silico-Vorhersagen. Daher etablieren wir in vitro-Testsysteme, um patientenspezifische Varianten, z.B. in den Genen NR5A1, DMRT1 und AR, zu untersuchen. Um neue Kandidatengene zu identifizieren, werden wir die Anzahl der Exomsequenzierungen bei Patienten mit spezifischen Phänotypen signifikant erhöhen. Ein komplementäres Fertilitätsscreening in Drosophila melanogaster wird konservierte Gene aufzeigen, die für die Spermatogenese erforderlich sind. Zusammenfassend werden wir Varianten in bekannten Genen untersuchen, die mit NOA assoziiert sind, und darüber hinaus neue Gene identifizieren sowie deren Funktion(en) analysieren.Folglich werden wir die genetische Diagnoserate bei unfruchtbaren Männern mit schwerer Spermatogenesestörung und Azoospermie signifikant erhöhen. Dies wird den Weg für fundiertere Behandlungsentscheidungen, die Einschätzung von Risiken und eine bessere Beratung ebnen.
Tüttelmann, Frank | Klinik für Medizinische Genetik |
Tüttelmann, Frank | Klinik für Medizinische Genetik |