Wahrsagerei war in frühneuzeitlichen Gesellschaften als spezifisches Glaubenssystem omnipräsent, aber auch stets umstritten. Diese Gleichzeitigkeit von Zuspruch und Ablehnung, von situativer Relevanz und Unbedeutsamkeit macht die Wahrsagerei als Phänomen in frühneuzeitlichen Gesellschaften besonders interessant. Festzustellen ist gleichwohl, dass diese Gleichzeitigkeit in der Forschung bislang kaum thematisiert und systematisiert wurde. An dieser Lücke setzt das vorgeschlagene Projekt an: Es widmet sich dabei einerseits ganz grundsätzlich der Frage, welchen Stellenwert die Wahrsagerei in frühneuzeitlichen Gesellschaften als Ressource der Wissensgenerierung und auch als Modus der Entscheidungsfindung besaß. Wie lässt sich die gebrochene Relevanz der Wahrsagerei erklären und worin unterscheiden sich bestimmte Kontexte oder Rahmungen, in denen (einzelne) Menschen oder auch größere Gruppen auf die Wahrsagerei setzten von solchen, in denen dies gerade nicht zu beobachten ist? Andererseits gilt es genauer zu bestimmen, in welcher Weise und unter welchen Umständen es möglich war, dass wahrsagerische Prognostik dynamisierende Effekte für politisches Handeln (v.a. in Form von herrschaftlichem Handeln) und soziale Bewegungen entfalten konnte. Insgesamt gilt es, im Projekt die Wahrsagerei als umstrittenes Instrument der Wissensgenerierung aus einer praxeologischen Perspektive neu zu vermessen und hiervon ausgehend die kulturellen Bedingungen und Konsequenzen der Wahrsagerei als Glaubenssystem, aber auch als Wissensressource in frühneuzeitlichen Gesellschaften neu zu bewerten. Im Fokus steht also nicht die Frage, welche Formen der Wahrsagerei existierten, wie diese prinzipiell funktionierten und wie sie sich methodologisch entwickelte. Von Interesse ist vielmehr, unter welchen Bedingungen Wahrsagerei für das Agieren der Menschen bedeutsam war und welche Erklärungsansätze sich für die durchaus erheblichen Unterschiede in der situativen Relevanz wahrsagerischer Expertise für das Handeln von Menschen finden lassen.
Ludwig, Ulrike | Exzellenzcluster 2060 - Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation |
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