Seit der antiken Achsenzeit sind Recht und Religion durch die Gedanken der Einheit und Wahrheit verbunden: Ebenso wie es nicht nur im Juden- und Christentum, sondern auch in der griechischen Philosophie nicht viele Götter, sondern nur einen wahren Gott geben sollte (Parmenides), stand neben und über den vielen Rechten der antiken Staaten die Idee eines verbindenden Gemeinrechts (ius gentium) bzw. eines Naturrechts (ius naturae). Seit dem Mittelalter haben beide Ideen massiv an Bedeutung gewonnen: Die Menschen Europas waren nicht nur als Glieder der Römischen Kirche, sondern ebenso durch das römisch-kanonische ius commune verbunden; und im Naturrecht der frühen Neuzeit waren religiöse und rechtliche Wahrheit eng miteinander verschränkt. Seither scheint die Idee rechtlicher Einheit in dem Maße an Bedeutung gewonnen zu haben, in dem Vorstellungen religiöser Wahrheit und Einheit mit der Konfessionalisierung des Christentums einen zunehmend utopischen Charakter bekamen: Die Idee eines allgemeinen, für alle Menschen in gleicher Weise geltenden vernünftigen Rechts trägt gleichermaßen die großen Vernunftrechtsentwürfe einerseits und die Kodifikationsprogramme der Aufklärungszeit andererseits. Und wenn die Suche nach einem gesellschaftsübergreifenden Naturrecht im 20.Jahrhundert zu einem Ende gekommen scheint, so findet das seine Erklärung nicht zuletzt darin, dass mittlerweile die grundlegenden universellen Maßstäbe rechtlicher Richtigkeit in den Verfassungen moderner Staaten positiviert und justiziabel geworden sind, ein vorpositives Naturrecht also obsolet erscheinen kann. Insbesondere die Vorstellung universeller Menschenrechte hat es den modernen Verfassungsgerichten möglich gemacht, ein neues Gemeinrecht (vorstaatlicher?) Grundrechte zu formulieren.
Jansen, Nils | Exzellenzcluster 2060 - Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation |
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