In den vergangenen 15 Jahren wurden verstärkt gegen molekulare Strukturen der Tumorzellen gerichtete Arzneimittel für onkologische Indikationen zugelassen (Gravanis et al. 2014). Obwohl die Überlegenheit dieser Medikamente gegenüber den Standardtherapien bislang nur in spezifischen Situationen nachgewiesen wurde, ist die generelle Erwartungshaltung hinsichtlich einer besseren Wirksamkeit bei gleichzeitiger Reduktion unerwünschter Nebenwirkungen hoch (Pignatti et al. 2015). Die für Erwachsene zugelassenen, zielgerichteten Therapeutika werden zunehmend auch in der pädiatrischen Hämatologie und Onkologie „off-label“ eingesetzt, vor allem bei Patienten für die kein etabliertes Behandlungskonzept mehr zur Verfügung steht. Derzeit fehlen jedoch systematische Datensammlungen und Auswertungen zu Risiken und Nebenwirkungen des Einsatzes von zielgerichteten Tumortherapien bei Kindern. Zudem fehlt für die Mehrheit der potentiell indizierten Substanzen nicht nur eine kindgerechte Arzneiform, sondern auch eine systematische Dosisfindung (Lu et al. 2016). Für viele dieser pädiatrischen Indikationen sind die Erwartungen hypothetisch, da belastbare Daten zur Wirksamkeit bei diesem Patientenkollektiv derzeit nicht vorliegen (Dorris et al. 2016). Die Wissenslücke, die sich durch den zunehmenden off-label Einsatz bei gleichzeitig limitierter Datenlage zur Sicherheit und Toxizität zielgerichteter Tumortherapien bei pädiatrischen Patienten ergibt, kann durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Akteure im Bereich der Pharmakovigilanz reduziert werden. Dabei versteht sich Pharmakovigilanz als wissenschaftliche Disziplin, die die „Gesamtheit der Maßnahmen zur Entdeckung, Erfassung, Bewertung und Vorbeugung von Nebenwirkungen sowie anderen arzneimittelbezogenen Problemen, die bei der Anwendung von Arzneimitteln auftreten“ abdeckt (Aly 2015). Gemäß dieser Definition ist Pharmakovigilanz weit mehr als ein technischer Prozess zur ordnungsgemäßen Meldung und Nachverfolgung von Serious Adverse Events (SAEs) im Rahmen klinischer Studien oder von Adverse Drug Reactions (ADRs) im Kontext des Spontanmeldesystems. Das im Rahmen des Projektes zu entwickelnde Pharmakovigilanzkonzept (PV-Konzept) trägt dazu bei, die in der organisations- und fachübergreifenden Zusammenarbeit liegenden Chancen zur Verbesserung der Pharmakovigilanz beim Einsatz zielgerichteter Tumortherapien bei Kindern auszuloten. Entsprechend handelt es sich bei dem PV-Konzept um einen „Proof of concept“ zur Abklärung der prinzipiellen Kooperationsbereitschaft der relevanten Akteure mit dem Ziel die patientenzentrierte, individualisierte Risikoabschätzung zu stärken. Die Kooperationsbereitschaft wird projektspezifisch definiert als die Bereitschaft, Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen für die individualisierte Risikoabschätzung zu gewährleisten oder zu unterstützen. Diese Informationen sind erforderlich um auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Risikoprofile anzufertigen, die anhand eines generischen PV-Leitfadens erstellt werden.
Boos, Joachim | Zentrum für Eltern-, Kinder- und Jugendmedizin |
Boos, Joachim | Zentrum für Eltern-, Kinder- und Jugendmedizin |