Bei 10-15% der infertilen Männer wird eine Azoospermie festgestellt, bei der keine Spermien in der Samenprobe nachgewiesen werden können. Bei der häufigsten Form, der nicht-obstruktiven Azoospermie (NOA), handelt es sich um eine schwere Spermatogenesestörung, d.h. die Spermienbildung ist sowohl qualitativ als auch quantitativ deutlich eingeschränkt oder fehlt vollständig. Bei manchen azoospermen Männern können durch eine Hodenbiopsie und testikuläre Spermienextraktion (TESE) dennoch Spermien gewonnen und anschließend bei einer in vitro Fertilisation (IVF) mit intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) verwendet werden. Klinisch ist insbesondere relevant, die Ursache der Azoospermie zu identifizieren, weil dies direkte Konsequenzen für die Behandlungsstrategie und die Beratung des Patienten/Paares hat, u.a. im Hinblick auf die Gesundheit der Nachkommen. Es wird vermutet, dass eine Azoospermie bei der Mehrzahl der Patienten durch genetische Faktoren verursacht wird. Allerdings wird durch die aktuell etablierten genetischen Untersuchungen (Chromosomenanalyse, Screening auf Y-chromosomale AZF Deletionen) nur bei ~20% der Männer die Ursache geklärt.Die nicht-obstruktive Azoospermie ist klinisch heterogen mit vielen unspezifischen und nur wenigen spezifischen Phänotypen, u.a. Sertoli-Cell-Only Syndrom (SCOS) und Meiosearrest (MA). Für SCOS und MA konnten wir bereits erfolgreich einzelne Gendefekte nachweisen, u.a. Mutationen im X-chromosomalen TEX11-Gen. Seit der Entwicklung von genomweiten Analysen ist es nun möglich, die genetischen Ursachen der Azoospermie besser zu untersuchen. Unserer Hypothese folgend, dass die männliche Infertilität aufgrund einer Azoospermie durch Mutationen in vielen verschiedenen Genen verursacht werden kann, werden wir neue genetische Ursachen durch genomweite Analysen, u.a. array-Comparative Genomic Hybridisation (array-CGH) und Whole-Exome Sequencing (WES), identifizieren. Neue Kandidatengene werden in weiteren Untersuchungen validiert und ihre Funktion analysiert.Wir erwarten, die aktuell ~20% genetischen Diagnosen bei Azoospermie mehr als zu verdoppeln, indem wir bei zusätzlichen 15-30% der Patienten die spezifische genetische Ursache identifizieren. Die Analyse eines Panels mit den wichtigsten Genen soll zukünftig Einzug in die Routinediagnostik nehmen und dann eine genauere Abschätzung der Chancen und Risiken, eine besser Beratung des Patienten/Paares und evidenz-basierte Therapieentscheidungen ermöglichen.
Tüttelmann, Frank | Klinik für Medizinische Genetik |
Tüttelmann, Frank | Klinik für Medizinische Genetik |