Im Sinne der seit Platon (428 – 348 v. Chr.) etablierten Metapher des welterschaffenden Gottes als eines Künstlers (δημιουργός/artifex) verstand auch der platonisch geprägte Kirchenvater Augustinus (354 – 430 n. Chr.) die Erschaffung der Welt als Ausdruck einer göttlichen Kunst (ars). Doch während der pagane Platonismus zwischen Gott und Welt eine Weltseele als vermittelnde Instanz wirksam sah, erweckt Augustinus, da er im Gegensatz dazu gerade keine Weltseele annahm, zunächst den Eindruck, eine andere Auffassung von der Wirklichkeitsstruktur vertreten zu haben, der zufolge der Schöpfergott unmittelbar auf die körperliche Welt einwirkt. Es gibt jedoch Indizien, daß genaue Beobachtung, wie die ars Gottes von Augustinus beschrieben wird, zu dem Ergebnis führen könnte, Augustinus habe die Systemstelle der platonischen Weltseele in abgewandelter Form durch Verschiebung ihrer Funktionen auf andere ontologische Ebenen bewahrt. Die christliche Lehre Augustins und die pagan-platonische Lehre von der Erschaffung der Welt kämen dadurch einander deutlich näher, als es der verbale Befund auf den ersten Blick erwarten läßt, ohne freilich völlig identisch zu werden. Dieses Ergebnis wäre nicht nur für das Verständnis Augustins und die Bestimmung seines Verhältnisses zum zeitgenössischen Neuplatonismus von besonderem Interesse, sondern auch für den weiteren Lauf der europäischen Geistesgeschichte, da die Diskussion um die Weltseele sich bis ins hohe Mittelalter durchhielt. Im ersten Kapitel des folgenden Antragstextes (1.) werden zunächst die Problemlage bei Augustinus, ihre sachlichen Voraussetzungen, die aktuelle Forschungssituation sowie der inzwischen erreichte Stand der eigenen Vorarbeiten beschrieben. Das folgende Kapitel (2.) wird dann Zielsetzung und Lösungsansatz des geplanten Projektes vorstellen.
Pietsch, Christian | Professur für Klassische Philologie, Schwerpunkt Gräzistik (Prof. Pietsch) |
Pietsch, Christian | Professur für Klassische Philologie, Schwerpunkt Gräzistik (Prof. Pietsch) |