Dissertationspreis des Fachbereichs Geschichte/Philosophie  2023

Im 15. Jahrhundert versuchten Franzosen, Portugiesen und Spanier die Kanaren zu erobern, die für die Erkundung der afrikanischen Küste und des Atlantiks von großer strategischer Bedeutung waren. Dabei unterwarfen die Eroberer die indigenen Völker der Inseln, die sich in der Antike dort angesiedelt und seither in weitgehender Isolation entwickelt hatten. In ihrer Dissertation versucht Julia Bühner, bei der Untersuchung von Völkerrechtspraktiken wie Friedensverhandlungen und Vertragsabschlüssen die Eroberer und Indigenen gleichermaßen als Akteure zu begreifen. Deren unterschiedliche Rechts- und Normativitätsvorstellungen trafen bei der Eroberung aufeinander. Neben der Praxis beleuchtet die Studie auch die wissenschaftliche Debatte, die sowohl die Rechtmäßigkeit der gewaltsamen Unterwerfung und Versklavung der indigenen Bevölkerung als auch die konkurrierenden Besitzansprüche behandelt. Julia Bühner versucht, gängige Annahmen der Forschung zur Geschichte des internationalen Rechts zu überkommen. Diese verorten die Geburtsstunde des Völkerrechts mit der Schule von Salamanca frühstens ins 16. Jahrhundert und verstehen die Entwicklung des modernen Völkerrechts als europäisches Verdienst. Demgegenüber betont die Autorin, dass es Formen von Völkerrecht und internationalen Beziehungen zu allen Zeiten und in allen Teilen der Welt gegeben hat und auch die Indigenen der Kanarischen Inseln zu dessen Entwicklung beigetragen haben.